Schnee fällt auf Chinas Erde
Der wirtschaftliche Austausch zwischen China und dem deutschsprachigen Raum ist inzwischen eng. Der kulturelle Austausch hingegen ist nicht zuletzt wegen der strengen chinesischen Zensur nach wie vor sehr spärlich. Ganz besonders gilt das auch für
das Wissen um die neuere Lyrik Chinas. Abgesehen von der Zensur kommen auch noch Übersetzungsbarrieren hinzu, die insbesondere für Gedichte gelten. Da ist die Edition dieses Gedichtbandes besonders verdienstvoll, mit dem ein in China bekannter Dichter dem deutschsprachigen Publikum vorgestellt wird. Dass es sich dabei um den Vater des Exil-Künstlers Ai Weiwei handelt, ist dabei nicht ganz unwichtig zu wissen. Die Gedichtauswahl umfasst einen langen, für die jüngere Geschichte Chinas zentralen Zeitraum von 1932 bis 1979. Vielleicht beginn man die Lektüre mit dem letzten Gedicht über die "verlorene Zeit". "Mit verlorener Zeit ist es wie mit einem Freund; die Beziehung reißt ab, jeder hat seine Probleme,/ und plötzlich erfährt man: Er/ hat diese Welt schon längst verlassen." Ai Qing, das muss man bei der Lektüre auch wissen, war nicht zeitlebens ein Kritiker der maoistisch-kommunistischen Diktatur. Aber seine Gedichte zeigen auch, dass "Poesie wie ein Schlüssel der Weisheit gegenüber der Mittelmäßigkeit des Despotismus" (Ai Weiwei über seinen Vater) wirken kann. Man lernt durch die Lektüre, differenzierter auf China zu blicken. Es gibt auch etwas anderes als Export-Importzahlen, wenn der Name China fällt.
Carl Wilhelm Macke
rezensiert für den Sankt Michaelsbund.

Schnee fällt auf Chinas Erde
Ai Qing ; aus dem Chinesischen übertragen, kommentiert und mit einem Nachwort versehen von Susanne Hornfeck
Penguin Verlag (2021)
137 Seiten
fest geb.