Gesellschaftliche Grundbegriffe
Es gibt große Wörter, von denen wir zu wissen glauben, was sie bedeuten: „Freiheit“ und Gleichheit“, „Demokratie“ und „Gesellschaft“, „Handeln“ und „Kommunikation“. Doch was steckt eigentlich dahinter? Was passiert, wenn die platzhaltenden Wörter auf einmal als uneindeutige Begriffe mit Zurechenbarkeiten und Spielräumen betrachtet werden? Der Münchner Soziologe Armin Nassehi praktiziert diesen Ansatz in einem Buch, das alle Aufmerksamkeit verdient. „Gesellschaftliche Grundbegriffe“ ist eine ebenso prägnante wie erhellende Beschreibung des gegenwärtigen Gebrauchs solcher Begriffe. Nassehi will kein Volkspädagoge sein und auch kein Sprachpolizist. Seine Absicht ist die Arbeit am Begriff. Damit bringt er die Probleme in den Blick, für die der jeweilige Begriff die oft nur scheinbare Lösung ist. Es gibt aber immer auch andere Rezepte für den öffentlichen Gebrauch der Begriffe. Wissen wir nicht, wenn wir vom „Fremden“ sprechen, oft mehr darüber als über das ‚Eigene‘? Über „Identität“ wird besonders dann gesprochen, wenn der Begriff unsicher geworden ist. Wozu „Kultur“ eigentlich dient, kann man an den Debatten über Leitkultur ablesen. Und der vermeintlich harmlose Begriff „Natur“ wankt in der Geschlechterdebatte, wenn man nämlich gar nicht mehr eindeutig oder allgemein sagen kann, ob es ein „natürliches“ Geschlecht, eine genderbinäre Naturalisierung gibt oder nicht. Die Lesenden, wenn sie mit Nassehi den Begriffen nachdenken, profitieren von seinen findigen Fragen: Wann schadet allzu genaues „Wissen“? Was geschieht außerhalb des Lichts der „Öffentlichkeit“? Weshalb hat „Macht“ eine schlechte Presse? Was steht sich in einem „Konflikt“ anders als in einer „Krise“ gegenüber? Ein soziologischer TÜV, eine Überprüfung des öffentlichen Gebrauchs großer Begriffe, sehr wertvoll und sehr der Lektüre wert, wenn es auch manchmal anstrengt, aber es hat keiner gesagt, dass die Arbeit am Begriff leicht ist. Sehr empfehlenswert!
Michael Braun
rezensiert für den Borromäusverein.
Gesellschaftliche Grundbegriffe
Armin Nassehi
C.H.Beck (2023)
398 Seiten
fest geb.