Satin Island
"Call me U.", sagt der Held in Tom McCarthys Roman und meint damit den Leser: Auch wir sind Jederman in einer deutungsoffenen Welt globaler Muster und Strukturen. U. ist Firmen-Anthropologe, und hinter diesem komischen Beruf verbirgt sich der Ehrgeiz eines Globalisierungsbejahers, die Welt zum Drehen zu bringen, indem er Bedeutung in sie bringt. Das macht er, indem er Game-Avatare und Sportinterviews, Haifischattacken und die Rhetorik in Betrugs-E-Mails, das Turiner Grabtuch und Drehkreuze, mysteriöse Fallschirmspringer-Sabotagen und Taucherabenteuer erforscht: ein Ethnograph, der sich dem anderen nicht einfach aussetzt, sondern es wie durch ein Schauglas betrachtet. Doch eine Form für diese Weltbedeutungen findet U. nicht. Der Auftrag, einen "Großen Bericht" über alle diese Phänomene und Bedeutungsjagden zu schreiben, missglückt. Unmöglich zu wissen, was die Welt im Innersten zusammenhält. - Tom McCarthy hat einen pfiffigen und erfindungslustigen Roman über die vieldeutige globale Moderne geschrieben, mit faustischen Anklängen. Ein Roman wie ein Flughafen-Terminal: mit viel Bewegung, interkulturell, voller "Netzwerke der Verwandtschaft", wie es am Ende heißt. Auf der Shortlist für den Booker-Prize 2015 nominiert, von Thomas Melle verständig aus dem Englischen übersetzt. Empfehlenswert!
Michael Braun
rezensiert für den Borromäusverein.
Satin Island
Tom McCarthy
Dt. Verl.-Anst. (2016)
222 S.
fest geb.