Vom anderen Ende der Welt
Mary Linley wurde von ihrem Vater in Medizin und Botanik unterwiesen. Nach seinem Tod ist es ihr sehnlichster Wunsch, auf Forschungsreise zu gehen, Ende des 18. Jahrhunderts ein unmöglicher Wunsch für eine Frau. Als Mann verkleidet, bewirbt sich
Mary als Zeichner für die Südseeexpedition unter Carl Belham. Die Monate auf See über steht sie vermeintlich unentdeckt. Den kleinen Schiffsjungen Seth schließt sie besonders in ihr Herz. Erst die Tahitianer erkennen sofort die Frau in Männerkleidung. Wider Erwarten und allen Vorurteilen zum Trotz beschließt der Expeditionsleiter nach dem Tod seines Assistenten mit Mary die Inseln zu erforschen. Bald verbindet die beiden eine tiefe Liebe und auch Freundschaft mit Einheimischen. Bei ihnen findet Mary Zuflucht, als Carl an einem heimtückischen Fieber stirbt. Mary kann ihre gemeinsamen Forschungsergebnisse nach England zurückbringen und vor Navy Board, dem Auftraggeber, verteidigen. - Dem Roman liegt die Biografie der Jeanne Baret zugrunde. Die Autorin ehrt durch ihn alle Frauen, die sich - ihrer Zeit weit voraus - naturwissenschaftlichen Forschungen widmeten. Keineswegs mildert sie die Zustände auf Segelschiffen ab, weder die physischen Lasten noch Vorurteile und Aberglauben der Seeleute. Beim Tahiti-Aufenthalt steht mehr die romantische Geschichte denn die Forschungsergebnisse im Vordergrund. Trotzdem kann man Einblicke in das Wissen und die Vorstellungen der Zeit gewinnen. Winterbergs Tahitianer sind gewiss etwas von Rousseaus edlem Wilden geprägt. Mit der Lektüre kann man Emanzipationsgeschichte mit Abenteuerlust verbinden. Breit zu empfehlen.
Denise Müller
rezensiert für den Sankt Michaelsbund.

Vom anderen Ende der Welt
Liv Winterberg
Dt. Taschenbuch-Verl. (2011)
dtv ; 24847 : dtv-premium
445 S. : Kt.
kt.