Im Gotteshaus der Poesie

Wer nach einer Sprache sucht, um von Gott zu reden, sollte sich unbedingt auch in der Dichtung umschauen. Dazu braucht es allerdings Geduld, denn der Zugang zu einem Gedicht findet sich möglicherweise nicht so schnell wie der zu einem Roman. „Poesie Im Gotteshaus der Poesie ist kein Fastfood-Essen“, schreibt die Theologin und Dichterin Lisa F. Oesterheld, „sondern will gekaut und geschmeckt werden wie Schwarzbrot … Auch wenn ein Gedicht kurz ist, entschlüsselt es sich nur schrittweise. Es birgt ein Geheimnis, das sich zeigt, wenn die Zeit dafür reif ist.“ Ihren Gedichten und Gebeten – die den Hauptteil dieses schmalen Bandes ausmachen – stellt sie eine kurze, hilfreiche Einführung voran. Worte sind für sie Türöffner, die innere Räume eröffnen. Sie werden so zu „Augen- und Herzöffnern“, die innehalten und genau hinsehen lassen. „Poesie lehrt uns zu sehen, zu hören, zu tasten und zu schmecken.“ Zugleich zeichnet sich die Poesie durch Offenheit aus, respektiert den Zweifel, schafft Möglichkeiten. Dadurch entstehe eine eigene Form der Gottesrede, „weiter gespannt … als Behauptungen und Glaubenssätze“, wie Oesterheld schreibt. „ich legte dich fest / mit bild und begriff / nichts von dir / du bist.“ Eine weitere wichtige Wirkung von Poesie ist Trost. „Ein Wort kann zum Fenster werden, wenn der Seelenraum verdunkelt ist.“ Es ergeben sich überraschende Ausblicke, ohne Leid und Ungerechtigkeit schönzufärben. Poesie schreibe „vom Boden der Hoffnung“ aus, so Oesterheld. Manchmal gelinge es ihr, das Schwere in Worte zu fassen – und „einen Millimeter“ darüber hinauszugehen. „Unter einer Eiche im Friedwald / betten wir deine Asche in einem Gefäß, / wie wir als Kinder im Garten den Schatz vergruben.“ Oesterhelds Gedichte und Gebete, mit denen sie das im Titel angesprochene lichtdurchflutete Gotteshaus der Poesie baut, verdichten Alltagserfahrungen und erkunden deren spirituelle Bedeutung: „Drei Atemzüge / als der PC hochfährt – / mein Schreibtischgebet“. Es geht um das Zögern vor der Lektüre der Tageszeitung, um Trauer und Hoffnung, um Stille, Glück und Schmerz. Die Lektüre der Gedichte entschleunigt, erzeugt Stille während der Lektüre, aus der eigene Gedanken aufsteigen können. Oesterhelds Sprache ist einfach, klar und darin sehr schön und verwendet Bilder, die Spuren hinterlassen, z.B. wenn sie das Leben knurren lässt wie einen alten Hund und es eine Zeile später als „wunderbare Komposition“ bezeichnet, „die keiner sich ausdenken kann / und gottlob geschieht.“ Auf diese Weise fasst sie die Spannung, in der Menschen leben, in wenige Worte auf zwei Zeilen zusammen. Oesterheld behauptet Gott nicht, sie sucht, erfragt, ersehnt ihn (oder sie!), manchmal ist er anwesend. Ihre Texte sind Nahrung für Kopf und Herz und laden ein, sich an das Geheimnis des Lebens heranzutasten. (Religiöses Buch des Monats Juni)

Christoph Holzapfel

Christoph Holzapfel

rezensiert für den Borromäusverein.

Im Gotteshaus der Poesie

Im Gotteshaus der Poesie

Lisa F. Oesterheld
echter (2025)

Franziskanische Akzente ; Band 42
119 Seiten
fest geb.

MedienNr.: 621671
ISBN 978-3-429-06760-1
9783429067601
ca. 9,90 € Preis ohne Gewähr
Systematik: Re
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Auszeichnung: Religiöses Buch des Monats