Wenn Widerstand weiblich ist
Der langjährige ARD-Korrespondent in Moskau schildert in einzelnen Kapiteln, wie Frauen in Russland, Belarus, der Ukraine, Aserbaidschan und Kirgistan für ihre Rechte und die aller Staatsbürger kämpfen. Welch fantasievolle Ideen sie nutzen, um die Verhaltensforderungen repressiver Staaten und patriarchalischer Gesellschaften zu unterlaufen und sich durch Polizeigewalt und korrupte Verwaltung und Rechtsprechung nicht einschüchtern lassen. Angerer stützt sich dabei auf Begegnungen mit diesen Frauen, allermeist im Zusammenhang mit seiner Berichterstattung. Er geht von der Prämisse aus, dass in der alten sowjetischen Verfassung zwar die Gleichberechtigung der Frauen niedergeschrieben war, dass dies de facto aber eine Doppelbelastung für Frauen durch Berufstätigkeit und Arbeit für die Familie bedeutete. Eine Entlastung durch die Männer war durch die in Wirklichkeit tradierten Muster und Vorstellungen von Familienoberhaupt kaum gegeben, sodass Gewalt in der Ehe nicht selten vorkam. Das waren wohl die Ansatzpunkte für Gruppen wie Femen in der Ukraine oder Einzelpersonen wie Gulnara Mechtieva, die in Baku ein Frauenhaus für zwangsverheiratete Aseri-Mädchen eingerichtet hat. In Belarus war der weibliche Protest von vorneherein politisch motiviert gegen das autokratische Regime Lukaschenko, insbesondere vor dem Wahljahr 2020. Die meisten Kämpferinnen für demokratische Strukturen wurden des Landes verwiesen. Angerer verarbeitet auch die Ereignisse nach Kriegsbeginn in der Ukraine bis zum Juli 2022. Aufklärend und erhellend und - hochaktuell.
Pauline Lindner
rezensiert für den Sankt Michaelsbund.
Wenn Widerstand weiblich ist
Jo Angerer
Goldmann (2022)
188 Seiten
fest geb.