Land der roten Steine
Während seiner viertägigen Expedition in den amerikanischen Nationalpark Canyonlands scheint es dem Pensionisten Wessely fast undenkbar, nach Österreich zurückzukehren. Zu grandios wirkt die formen- und farbenreiche Landschaft, nach der er jahrelang
eine ihm unerklärliche intensive Sehnsucht empfunden hat. Wird er angesichts des scheinbar Unendlichen die heimatlichen Täler nicht als zu eng empfinden? Wäre es nicht Zeit, das Salzburger Land zu verlassen und ein neues Leben zu beginnen? Nach seiner Rückkehr stellt er fest, dass die über Jahrzehnte gewachsene Verbundenheit mit Bewährtem stärker ist als der Wunsch nach Veränderung. So wird er auch künftig die ihm bekannten Wege gehen und sich "für die Dauer eines Wimpernschlages" jenes Hochgefühls erinnern, das er in Canyonlands empfinden durfte. - Dass der österreichische Schriftsteller Walter Kappacher (Jahrgang 1938) das Reisen als alleinigen Impulsgeber für den Wunsch nach Lebensgestaltung hinterfragt, heißt nicht, er würde die in der Fremde gesammelten Erfahrungen gering schätzen. Im Gegenteil: Durch die Begegnung mit dem archaischen Land vertieft sich die Ehrfurcht des Ich-Erzählers vor der Natur, die durch ihre Weite eine in Wahrheit nicht vorhandene individuelle Freiheit suggeriert. Indem der Autor den faszinierenden Expeditionsbericht in den Mittelpunkt seines dreiteiligen Romans stellt, kann er in den Kapiteln eins und drei von Ereignissen erzählen, aus deren Gesamtheit das literarische Porträt des humanistisch gebildeten Protagonisten entsteht. Da die Prosa darüber hinaus philosophische Gedanken enthält, in denen sich der gebürtige Salzburger u.a. mit der Gestaltung von Lebenszeit auseinandersetzt, ist der Roman als anregende Lektüre äußerst zu empfehlen.
Kirsten Sturm
rezensiert für den Sankt Michaelsbund.

Land der roten Steine
Walter Kappacher
Hanser (2012)
157 S.
fest geb.