Die Fabeln von der Begegnung

Botho Strauß ist der Entdecker des Mystischen im Alltag. Seit seinem programmatischen Band "Paare, Passanten" (1981) pflegt er seine Figuren auf die Reise ins Unbekannte zu schicken, das außen und innen sein kann, und setzt sie, so nennt er es etwas Die Fabeln von der Begegnung abgehoben, den "Mysterien des Unerheblichen" aus. Diese Begegnungen können fürchterlich enden oder glücklich. Immer aber geht es um verkehrte Verhältnisse. Etwa in der Geschichte eines geschiedenen Paares. Der Vater holt den Sohn zu einer Bergtour ab, die Mutter legt ihm am Küchentisch das Zeugnis des Kindes vor. Sie haben Zeit, aber dem Ort fehlt die Weile. Kein Wort fällt, es sind Gesten und Gefühle, die exemplarisch vom "wahren und tiefen Mißglücken von zweien" sprechen. Verkehrt ist das Verhältnis, weil Zeit und "Weile" (eines der schönen altertümlich klingenden Worte, die Botho Strauß gerne einflicht) auseinander fallen. Anekdotisch ist die Geschichte von Don Juan, der mit 60 feststellt, dass er als Liebender versagt hat, weil ihm der Humor fehlt. Diese Geschichten, die selten mehr als zwei oder drei Seiten einnehmen, sind "Fabeln von der Begegnung". Ihnen fehlt der moralische Zeigefinger ebenso wie die Fahne des Zeitgeistes, obgleich der 1944 geborene Autor die Physiognomie seiner Zeit schärfer durchleuchtet als so mancher Gegenwartsroman. Dafür leben sie von einer sprachlichen Frische und erzählerischen Unverfrorenheit, die charakteristisch ist für die Prosa von Botho Strauß: Geschichten über das Nachdenken, Geschichten zum Nachdenken. Allen Beständen empfohlen.

Michael Braun

Michael Braun

rezensiert für den Borromäusverein.

Die Fabeln von der Begegnung

Die Fabeln von der Begegnung

Botho Strauß
Hanser (2013)

242 S.
fest geb.

MedienNr.: 380211
ISBN 978-3-446-24180-0
9783446241800
ca. 19,90 € Preis ohne Gewähr
Systematik: SL
Diesen Titel bei der ekz kaufen.