Die Live Butterfly Show
Die neuere Lyrik, lange Jahre in der lesenden Öffentlichkeit wenig oder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen, hat besonders durch die Gedichte von Jan Wagner wieder an Interesse gewonnen. Mit bedeutenden Preisen überhäuft und in den wichtigsten
Tageszeitungen - fast - immer hymnisch gelobt, haben es die Gedichte dieses Dichters geschafft, von einem breiteren Publikum zur Kenntnis genommen zu werden. Hier findet man einen Ton, der sich tatsächlich nur in der Lyrik anschlagen lässt. Immer ist da etwas Spielerisches, Leichtes, irgendwie über unserer gewohnten Alltagssprache Schwebendes zu vernehmen. Man liest seine Gedichte, vor allem die, die unscheinbaren Dingen und vergessenen Pflanzen gewidmet sind. Die erste, schnelle Lektüre fällt ungeübten Lyriklesern vielleicht schwer. Doch dann liest man die Gedichte noch einmal, am besten nicht stumm, sondern laut und langsam, ändert sich mit jedem Gedicht unsere gewohnte Weltwahrnehmung. "Plötzlich beginnt dein warmes gelb zu flattern/ wie eine gipfelflagge, ein fetzen stoff/ im arktiseis, bevor der letzte waltran/ verbraucht ist". So beginnt ein Gedicht, das einer Lampe gewidmet ist. Eine Lampe, deren warmer gelber Lichtschein flattert wie ein Fetzen Stoff im Arktiseis. Bilder, auf die man erst einmal kommen muss. Gute Gedichte erkennt man daran, dass sie unser Welt- und Alltagswahrnehmung "aus den Angeln der Gewohnheit" heben. In diesem Band findet man gut fünfzig Gedichte, die man immer wieder liest, weil man sich ihrem irritierend lang anhaltenden Echo einfach nicht entziehen kann.
Carl Wilhelm Macke
rezensiert für den Sankt Michaelsbund.

Die Live Butterfly Show
Jan Wagner
Hanser Berlin (2018)
93 S.
fest geb.