Psalm 44

Von Psalm 44 findet man in diesem Buch keine Zeile. Oder doch? Ist nicht der gesamte Roman ein einziges zeitgenössisches Zeugnis für die prophezeiende Botschaft von Psalm 44? "Du lässt uns vor unseren Bedrängern fliehen,/ und Menschen, die uns Psalm 44 hassen, plündern uns aus." Eine junge Mutter flieht zusammen mit ihrem in Auschwitz geborenen Kind. Vater des Kindes ist ein jüdischer Arzt, der in dem Lager als Häftling und als Arzt tätig ist. Unabhängig von Mutter und Kind gelingt es auch dem Kindsvater, aus dem Lager zu fliehen. Später, nach Kriegsende begegnen sich alle wieder anlässlich eines Besuchs in der Gedenkstätte Auschwitz. Die ganze Geschichte erscheint stark inszeniert und nicht frei von kitschigen Momenten. Zum Verständnis dieses frühesten Romans von Danilo Kiš ist es hilfreich, immer auch seine späteren literarischen Meisterwerke vornehmlich über seinen in einem NS-Lager ermordeten Vater im Blick zu haben. Kiš war kein Bibelexeget, aber dieser Roman zeigt, wie sehr ihn die Klagen über den abwesenden Gott und das trotz allem nicht erschütterte Gottesvertrauen im Psalm 44 beschäftigt hat. Sehr lesenswert auch das Nachwort der Kiš-Kennerin Ilma Rakusa: "Shoah, Überleben, Anderssein - in 'Psalm 44' ist angelegt, was Kiš ein Leben lang beschäftigen sollte."

Carl Wilhelm Macke

Carl Wilhelm Macke

rezensiert für den Sankt Michaelsbund.

Psalm 44

Psalm 44

Danilo Kis ; aus dem Serbokroatischen von Katharina Wolf-Grießhaber ; mit einem Nachwort von Ilma Rakusa
Carl Hanser Verlag (2019)

135 Seiten
fest geb.

MedienNr.: 598822
ISBN 978-3-446-26394-9
9783446263949
ca. 20,00 € Preis ohne Gewähr
Systematik: SL
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