Unverschämt jüdisch
In mehreren Essays - meist im Kontext zu Literaturpreisverleihungen - geht die Autorin der Frage nach, wovon Menschen jüdischen Glaubens oder jüdischer Herkunft geprägt sind, was sie davon in ihrem Werk verarbeitet haben und tradieren. Der spezielle Aspekt dabei sind assimilierte "Westjuden" des 20. Jh. So vergleicht sie Franz Kafka und Marcel Proust, die beide auf ihre Art um ihre jüdische Identität ringen. Oder stellt Elisabeth Langgässer, die wie Edith Stein zum Katholizismus konvertiert ist, in ihren inneren Haltungen gegenüber. Breiten Raum nimmt ein, dass Honigmanns Eltern nach 1945 aus dem Exil in die DDR zurückkehrten und der herrschenden Parteidoktrin folgend sich mehr als Kommunisten denn als Juden definierten. Sie selbst hingegen fand zu einer orthodox-jüdischen Lebensweise. Mehrfach beklagt sie den Verlust der jüdischen Erzählkultur, wie sie in Talmud, Mischna oder Gemara schriftlich fixiert ist. Daneben streift sie auch Fragen des Schreibens, des Schicksals eines Buches. - Als Quintessenz kann auch der Goi (Nicht-Jude) mitnehmen, dass die Autorin Assimilationsbestrebungen eher als Verlust, als Abschneiden von den Quellen, denn als Gewinn eines Nicht-Mehr-Anderseins, eines völligen Eintauchens in die Umgebungskultur, sieht. Das Büchlein leistet einen wertvollen Beitrag zu einem anderen Blick auf (deutsche) Juden als den gängigen der Holocaustopfer. Für größere Bestände sehr interessant!
Pauline Lindner
rezensiert für den Sankt Michaelsbund.
Unverschämt jüdisch
Barbara Honigmann
Carl Hanser Verlag (2021)
155 Seiten
fest geb.