die verbrechen

Ronya Othmann ist eine neue Stimme in der Gegenwartsliteratur, mit "sensorischer Fülle" (Nico Bleutge), kernprägnanten Bildern und einer höchst erinnerungswürdigen Geschichte. Othmann, die auch Instagram-Stories postet und taz-Kolumnen schreibt, die verbrechen ist 1993 in München geboren, ihre Eltern, jesidische Kurden, mussten aus Syrien fliehen. Die zerschossene, verbrannte Landschaft des Herkunftslandes wanderte schon in ihren Debütroman "Leyla" (2018) ein. Der erste Lyrikband heißt programmatisch: "die verbrechen". Das Ich der Gedichte, das sich in der zweiten Person Mut und Zuversicht zuspricht, kartographiert die Häuser, deren Dächer zerstört sind, die Straßen, die ihr Dorf nicht mehr finden, die Felder, die unter den Stiefeln der Soldaten leer sind, den unversehrt blauen Himmel, der keinen Schatten mehr spendet. Aber der Ermahnung, nicht zurückzublicken, zum Trotze macht sich die Erinnerung auf den Weg. Er ist vermint mit paradoxen Bildern und traumatischen Überfällen. Es ist, wie es ein Gedicht sagt, ein Weg, der eigentlich nicht zurückgelegt, sondern ausgelegt werden muss. So gelingt es Ronya Othmann mit - auch rhythmisch eindringlichen - elegischen Versen, ihre Erinnerungslandschaften zu vermessen und Vertreibung und Kriegstraumata ins Gedicht zu bringen: eine lyrische Geschichte, die es zu lesen lohnt, weil sie die Trauer um das Verlorene trägt und die Migrationsgeschichte der Kurden 'eindeutscht'.

Michael Braun

Michael Braun

rezensiert für den Borromäusverein.

die verbrechen

die verbrechen

Ronya Othman
Hanser (2021)

108 Seiten
fest geb.

MedienNr.: 606561
ISBN 978-3-446-27083-1
9783446270831
ca. 20,00 € Preis ohne Gewähr
Systematik: SL
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