Der Gott der Landminen
Schon der Titel dieses Gedichtbandes irritiert. Was soll man sich unter einem "Gott der Landminen" vorstellen? Und wenn man dann die in diesem Band gesammelten Gedichte liest, wird diese Irritation auch nicht gemindert, sondern eher noch verstärkt. Es ist auf jeden Fall ratsam, vor der Lektüre der einzelnen Gedichte das sehr informative Nachwort des Übersetzers zu lesen. Yusef Komunyakaa ist einer der vielleicht einflussreichsten afroamerikanischen Dichter der Gegenwart. Für seine Dichtung erhielt der 1947 geborene Schriftsteller einige der bedeutendsten Literaturpreise im angloamerikanischen Raum. Erfährt man durch das Nachwort, dass der Jazz die entscheidende Inspirationsquelle für den Dichter ist, dann beginnt man langsam den Rhythmus und die Improvisationsfantasie der Gedichte zu verstehen. Reime gibt es keine und man kann sich auch nicht festhalten an schön klingenden Versen, die man traditionell mit der Lyrik verbindet. In einem Langgedicht mit dem Titel "Requiem" erinnert Komunyakaa an die gigantische Flutkatastrophe, die Ende August 2005 New Orleans heimgesucht hat. Er findet hier Bilder, in denen die ganze Zerstörungskraft dieser alles niederreißenden Überschwemmung spürbar wird. Über fünf Seiten ergießt sich eine riesige "Wortwelle", die erahnen lässt, was sich da in den Regionen links und rechts des Mississippi ereignet hat. Das kann keine journalistische Reportage, auch kein Roman in dieser Form leisten, was der Dichter mit diesem Gedicht in Worte übersetzt. Wer nicht vertraut ist mit der Lektüre zeitgenössischer moderner Lyrik wird es schwer haben, diese Gedichte zu verstehen. Aber man muss ja auch nicht die Improvisationsvielfalt von guter Jazzmusik auf Anhieb "verstehen", um einzelne Musikstücke zu genießen, auch zu bewundern. Ein besonderer Applaus gilt auch dem Übersetzer der Gedichte, Mirko Bonné, der es geschafft hat, deren ganze Wucht in die deutsche Sprache zu übertragen.
Carl Wilhelm Macke
rezensiert für den Sankt Michaelsbund.
Der Gott der Landminen
Yusef Komunyakaa ; aus dem Englischen von Mirko Bonné
Hanser (2024)
Edition Lyrik Kabinett
176 Seiten
fest geb.