Hab keine Angst, erzähl alles!
9. Oktober 2019: Am höchsten jüdischen Feiertag Jom Kippur attackiert Stephan K. die Synagoge in Halle. Als es ihm dank der robusten Eingangstür nicht gelingt, einzudringen und Dutzende zu töten, erschießt er - per Livestream - eine Passantin und einen Dönerimbiss-Betreiber. Das Buch gibt Einblick in die antisemitischen, rassistischen, fremden- und frauenfeindlichen Motive des Täters. Er rechnet sich der „White Supremacy“ zu. Esther Dischereit, Erzählerin und Autorin, die schon Beobachterin des NSU-Untersuchungsausschusses des Bundestags war, dokumentiert den Tathergang und den Prozessablauf. Viel wichtiger ist ihr aber, dass die Worte aller Überlebenden, ihre Schmerzen und ihr Zorn festgehalten werden. Bei diesem Prozess dürfen die Betroffenen so lange reden, wie sie es wünschen. Eine 90-jährige Rabbinerin aus den USA empfiehlt ihrer Enkelin: „Hab keine Angst, erzähl alles!“ Deshalb ist die Verhandlung auch eine Geschichtsstunde über die Shoa. Ein Zeuge spricht ein Gebet, ein anderer singt ein Lied in jiddischer Sprache. So bekennen sie ihr Jüdischsein mitten im Gerichtssaal. Darauf, dass rechtes Gedankengut wieder gesellschaftsfähig geworden ist, gibt es eine klare Antwort: Rassismus und Antisemitismus nicht schweigend billigen, sondern im Alltag entgegentreten. Das Leben wertschätzen! Besonders geeignet für die junge Generation, um jüdisches Denken, Handeln und Betroffensein besser zu verstehen.
Berthold Schäffner
rezensiert für den Borromäusverein.
Hab keine Angst, erzähl alles!
Esther Dischereit (Hg.)
Herder (2021)
267 Seiten : Illustrationen
fest geb.