Wo die Störche fliegen
Thomas und Gerda sind als Kinder unzertrennlich; aus der Freundschaft wird zehn Jahre später eine Liebesbeziehung, die die Familie von Westkamp gar nicht gerne sieht, denn Thomas' Mutter ist polnischer Herkunft und in den Jahren nach dem Ersten Weltkrieg
flammt auf den ostelbischen Gütern extremer Nationalismus auf. Thomas geht an die Universität von Breslau und studiert Geschichte. Er bricht mit Gerda und sie erhält durch einen Zufall über die Chefsekretärin Irma Grünbaum eine Stelle im Büro der Reederei Treischel in Danzig. Gerda heiratet später den großherzigen Juniorchef, den aber die wirtschaftlichen Verwerfungen der 20er und 30er Jahre und das Aufkommen der Nazis in den Alkohol treiben. Im Zweiten Weltkrieg ist Gerda mit ihrer Tochter Maren auf sich allein gestellt und verdient sich ihren Lebensunterhalt als Mitarbeiterin einer Zeitung, die chiffrierte Botschaften an den polnischen Untergrund weiterleitet, wo Gerda Thomas weiß. Als die russische Armee näher rückt, versucht Gerda zu fliehen; ein scheinbar alter Karrenbesitzer entpuppt sich als Thomas. Gemeinsam fahren sie zum elterlichen Gut, um die Westkamps zur Flucht zu bewegen, die unter der Fuchtel des Schwiegersohnes Albrecht stehen, der eine örtliche Nazi-Größe und gewalttätig ist. - Als Kinder liebten Gerda und Thomas Märchen, besonders Andersens Schneekönigin. Motive aus diesem Märchen gliedern den Roman. Viele Episoden handeln vom ablehnenden Verhalten gegenüber vertrauten Menschen, nur weil sie polnischer Herkunft sind; die unterschiedlichen Meinungen zum Aufkommen des Nationalsozialismus lässt die Autorin meist bei Tischgesprächen auftreten. Die Liebesgeschichte und Gerdas Schicksal geben den Geschichtslektionen über eine Region, die wenig im Blickfeld steht, viel Farbe.
Pauline Lindner
rezensiert für den Sankt Michaelsbund.

Wo die Störche fliegen
Claudia Ley
Wilhelm Heyne Verlag (2023)
526 Seiten
fest geb.