Fliegen mit fremden Federn
Wolf Biermann ist bestens bekannt als engagierter Weltverbesserer, der, wiewohl dem Traum einer freien kommunistischen Gesellschaft anhängend, vom real existierenden Sozialismus resolut entfernt und entfremdet wurde und der seine Zunge (vgl. "Mit Marx- und Engelszungen", wie eine frühe Sammlung politischer Lyrik hieß) zum Sprachrohr ganzer Generationen gemacht hat. Doch hier etwas Neues, "aus fremden Federn in seine eigene, flügelleicht" - wie das sinnige Wortspiel des Titels andeutet. Es ist sein jüngstes Werk, doch anders gestrickt und erweitert auf eine Vielfalt von Kinder-, Volks-, lustigen und lästerlichen, vor allem: Liebes-Liedern. Die Sammlung all dessen, was er in einem reichen und bewegten Barden-Leben nachgedichtet oder übersetzt hat. So finden sich lyrische Übertragungen aus sage und schreibe 16 Sprachen, bis hin zu jiddischen und lettischen Stücken - sogar Shakespeare-Sonette sind dabei. Besonders reizvoll, wie Biermann Jargonlieder (z.B. karibische) in Berliner Dialekt umsetzt! Eine Anthologie also mit Noten, handgeschriebenen, sowohl bei traditionellen Weisen wie auch Eigenkompositionen, was das Opus einmalig wertvoll macht. Der Liedermacher öffnet hier wohl eine zeit- und nationen-übergreifende, daher seine zeitloseste Schatzkiste, wie er im Vorwort betont. - Schade nur, dass die Originaltexte keinen Platz mehr fanden; Kenner hätten so noch besser Gelegenheit gehabt zu sehen, wie kunstvoll und auch eigenwillig Biermann umgeht mit der Poesie von "Kollegen" aus vier Jahrhunderten. Aus prominenter Hand ein stattlicher Band Poesie der Völker, formschön gesagt und verpackt, innen wie außen! Für große Bestände eine schöne Ergänzung.
Harald Grimm
rezensiert für den Sankt Michaelsbund.
Fliegen mit fremden Federn
Wolf Biermann
Hoffmann und Campe (2011)
526 S. : zahlr. Notenbeisp.
fest geb.