Das andere Dasein
In den Zeiten der Sowjetunion studieren viele ausländische Studenten in Moskau, so auch Minganbajir aus der Mongolei und Anni Erdös aus Ungarn. Der junge Burjate verliebt sich unsterblich in das Mädchen. Der Kontakt reißt auf unerklärliche Weise kaum nach ihrer Rückkehr ab. Jahre später - Minganbajir ist verheiratet - trifft er als Dolmetscher auf eine ungarische Zirkustruppe. Deren Leiterin gleicht seiner verlorenen Jugendliebe. Er überfällt die Frau mit Liebesbezeigungen, bis er erkennen muss, dass es sich um die Mutter handelt. Im Gedenken an die Tochter finden beide für ein paar Tage mitten in der mongolischen Steppe zu einer anrührenden Beziehung zusammen. In den Schlusskapiteln beschreibt der Autor eine Begegnung mit einem anderen Mongolen und dessen ungarischer Frau, deren Lebensgeschichte sich genau so wie seine Erzählung abgespielt haben soll. Die beiden leben als Hirten abseits aller Politik in der Steppe. - In die eigenwillige, menschlich berührende Liebesgeschichte fügt Tschinag eine Fülle von kritischen Anmerkungen über das gegängelte Leben im Realsozialismus ein. Intensiv setzt er sich in einer sehr bilderreichen Sprache mit den Empfindungen seiner Protagonisten auseinander und übermittelt dem Leser zugleich ein Bild vom mongolischen Leben. Bemerkenswert ist, dass Tschinag, der in Leipzig Germanistik studiert hat, seine Bücher in deutscher Sprache verfasst und sich dabei vieler Sprachmuster und komplexer Satzstrukturen bedient, wie sie in der Literatur des 19. und frühen 20. Jh. gebräuchlich waren. Diese anspruchsvolle Darstellungsweise verknüpft er mit Sprachbildern aus der Welt der Steppenhirten mit ihren ganz anderen mythischen Vorstellungen und sozialen Strukturen. Ein Liebesroman der besonderen Art!
Pauline Lindner
rezensiert für den Sankt Michaelsbund.
Das andere Dasein
Galsan Tschinag
Insel-Verl. (2011)
270 S.
fest geb.