Ich schreib euch aus Berlin
Auch in diesem Buch setzt sich die als Psychotherapeutin auf die Behandlung transgenerationaler Traumata spezialisierte Maya Lasker-Wallfisch, Tochter der bekannten Cellistin Anita Lasker-Wallfisch, die als Mitglied des Mädchenorchesters Auschwitz
überlebte, und des Pianisten Hans Peter Wallfisch, mit der Geschichte ihrer aus Breslau stammenden Familie auseinander (vgl. "Briefe nach Breslau": BP/mp 20/726). Wieder wendet sie sich in Briefen an ihre Großeltern, die sie selbst nicht gekannt hat, die von den Nazis deportiert und ermordet wurden, und beschwört durch ihre Ehrlichkeit und Warmherzigkeit eine enge, für sich selbst befreiende Verbindung zu ihnen, in der Vergangenheit und Gegenwart zusammenfließen. Im Hintergrund und zugleich als Motivation steht der Versuch, für sich eine neue Heimat - sie verbrachte ihr ganzes Leben in London - zu finden, und das an einem Ort, wo sie sich ihrer deutsch-jüdischen Wurzeln nahe fühlt, der aber zugleich NS-Hauptstadt des Terrors war. Sie besucht Gedenkorte (u.a. Topographie des Terrors), trifft mit Menschen zusammen, die den Neuanfang des jüdischen Lebens bewerkstelligt und die Schaffung einer beeindruckenden Erinnerungskultur vorangetrieben haben, erlebt positive Signale, aber auch Zeichen eines erstarkenden Antisemitismus. Auf der intensiven Suche nach ihrer eigenen Identität als Tochter einer Holocaust-Überlebenden hinterfragt sie offen und teils schonungslos ihr ambivalentes Verhältnis zu ihrer Mutter, betont aber ebenso in den Briefen an ihre Großeltern ihre jüdische Herkunft als Haltepunkt in ihrem Leben. - Sehr interessant und überaus empfehlenswert!
Inge Hagen
rezensiert für den Sankt Michaelsbund.

Ich schreib euch aus Berlin
Maya Lasker-Wallfisch ; aus dem Englischen übersetzt von Bernadette Conrad
Insel Verlag (2022)
168 Seiten
fest geb.