Fanny Mendelssohns unerhörtes Gespür für Musik
Wer unter dem Titel einen süßlichen Roman über eine Frau im Schatten ihres berühmten Bruders erwartet, wird überrascht. Als wichtigste Quelle diente Ellinor Skagegard der umfangreiche Briefwechsel der Geschwister Fanny und Felix Mendelssohn; literarische Freiheit nimmt sie sich vor allem in der fantasievollen Schilderung einzelner Szenen. Obwohl der Vater sich mit der frühen Konversion zum Protestantismus das "Entrebillet in die europäische Kultur" erhoffte, sah die jüdische Familie sich Nachteilen und Vorurteilen ausgesetzt. Musik von Frauen wurde lediglich als "Zierde" angesehen - Komponistinnen hatten sich, wenn überhaupt, auf kleinere Klavierstücke und Lieder zu beschränken. Gerade hierin bringt es Fanny Mendelssohn zur Meisterschaft. Die Geschwister bewundern sich lebenslang gegenseitig. Musikgrößen wie Zelter und Hiller fördern Fannys Begabung. Dennoch verfolgt sie mit Bewunderung, aber auch Enttäuschung, wie ihr Bruder Felix zum größten Komponisten Europas aufsteigt, sie selbst jedoch auf das häusliche Musizieren beschränkt bleibt. In Berlin gründet Fanny Sonntagskonzerte, die schließlich Hunderte Zuhörer anziehen. Ihre Werke verlegen zu lassen oder ein großes Orchester zu dirigieren, bleibt ihr aber weitgehend verwehrt. Neben der lebendigen Lebensbeschreibung Fanny Mendelssohns sowie der Schilderung der Situation Menschen jüdischen Glaubens im 19. Jh. erhalten wir ebenso eine Biografie Felix Mendelssohn Bartholdys und ausgiebige Einblicke in das Musikleben in der ersten Hälfte des 19. Jh. Gerade zum diesjährigen 1700-jährigen Jubiläum jüdischen Lebens in Deutschland ist das Werk eine spannende Fundgrube für alle Musik- und Geschichtsinteressierte.
Gabi Radeck
rezensiert für den Sankt Michaelsbund.
Fanny Mendelssohns unerhörtes Gespür für Musik
Ellinor Skagegård ; aus dem Schwedischen von Regine Elsässer
Insel Verlag (2021)
Insel Taschenbuch ; 4843
236 Seiten
kt.