Trottel

Dieser Roman ist ein karnevaleskes Fest, eine anarchische Geschichtslektion, eine tragikomische Geschichte über Migration und Identität, über Prag und die DDR. Der Erzähler ist ein Schelm, und dass er, als „Trottel“ die Bühne betritt, eine Trottel Familie gründet, den Prager Aufstand, die Prenzlauer Berg-Szene und die Wendezeit sowie den Suizid seines Sohns erlebt, ermächtigt ihn zu weitschweifigen Ausflügen in die deutsch-tschechische Zeitgeschichte seit den 1960er Jahren, als in Prag die Straßenbahnen noch ohne Türen fuhren, so dass man in den Kurven einfach herausspringen konnte. Herauszuspringen aus diesem Roman ist allerdings eine beständige Versuchung, angesichts überschäumender Sätze, sinnloser (aber nicht unsinniger) Dialoge und abseitiger Fußnoten. Nun liegt aber eben in diesem Spiel mit dem Überschwang, in einem solchen Einlassen auf die epische Unternehmungslust die große Stärke dieses Buches, die der Autor ersichtlich mit guter Laune reflektiert: einmal, indem er seinem Erzähler in den Fußnoten ins Gewissen redet und sich von ihm distanziert; sodann, indem er seinen Leser/-innen und auch den Rezensent/-innen Bonmots und Beistand bietet: eine „Liebeserklärung an die alte verschlafene DDR“ und „gleichzeitig voller Abscheu“, so heißt es beispielsweise. Wer sich in der Literatur dieser „alten DDR“ ein wenig auskennt, wird mit richtigen Namen von Autoren und oft irreführenden Zitaten aus deren Werken, die der Erzähler, von Beruf Lügenstatistiker, aufreiht, durchaus auf seine Kosten kommen. Nominiert für die Shortlist des Deutschen Buchpreises.

Michael Braun

Michael Braun

rezensiert für den Borromäusverein.

Trottel

Trottel

Jan Faktor
Kiepenheuer & Witsch (2022)

396 Seiten
fest geb.

MedienNr.: 611035
ISBN 978-3-462-00085-6
9783462000856
ca. 24,00 € Preis ohne Gewähr
Systematik: SL
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