Der Schneesturm
Im tiefsten russischen Winter ist der Landarzt Platon Iljitsch Garin unterwegs, um im abgelegenen Dolgoje Patienten zu helfen, die an einer "aus Bolivien" eingeschleppten Epidemie erkrankt sind. Obwohl die Zeit drängt, gelingt es der fülligen Müllersfrau, Garin zum nächtlichen Verweilen zu überreden. Trotz heftiger Einwände ihres kleinwüchsigen Gatten darf sich auch "Krächz", der Kutscher, ein warmes Plätzchen suchen. Nicht jeder Halt des von fünfzig Kleinpferden gezogenen "Mobils" führt ins Schlaraffenland. Im Gegenteil: Die "Pferdis", wie "Krächz" liebevoll die rebhuhngroßen Tierchen nennt, helfen Schluchten zu überwinden, warnen vor Wölfen und ertragen den Wutanfall des Arztes, den die Reise durch das Schneeland nervt. Wenn der in Russland populäre Vladimir Sorokin (Jahrgang 1955) den erfrorenen "Krächz" und den fast bewusstlosen Garin von drei Chinesen bergen lässt, hat die Dienstfahrt ein tragisches Ende gefunden. Da der Autor über eine überbordende Fantasie verfügt, geizt er nicht mit bizarren Einfällen und grotesken Situationen. Er verwendet Märchenelemente und fügt darüber hinaus in das eigentlich ins 18./19. Jh. passende Geschehen Begriffe aus unserer hochtechnisierten Gegenwart ein. Die sich daraus ergebenden Kontraste regen an, über das Wesentliche und Bewahrenswerte im Leben nachzudenken. Sorokins Anliegen wird von Andreas Tretner hervorragend ins Deutsche übersetzt. Ihm ist es zu danken, dass sich mit der Lektüre des anrührenden Romans ein Leseerlebnis verbindet.
Kirsten Sturm
rezensiert für den Sankt Michaelsbund.
Der Schneesturm
Vladimir Sorokin
Kiepenheuer & Witsch (2012)
206 S.
fest geb.