Helmut Dietl - Der Mann im weißen Anzug
Der 2015 verstorbene Helmut Dietl war ein Münchner Kindl der Nachkriegszeit und zugleich einer der in der westdeutschen Fernsehlandschaft bekanntesten Regisseure. Als langjähriger Bekannter schreibt der Filmpublizist Claudius Seidl die Biografie dieses Self-Made-Man aus Schwabing. Dietls selbst verfassten Memoiren, die kurz vor dessen Tod erschienen, reichen nur in die Jugendjahre, die vermutlich die prägendste Zeit für die Entwicklung des Dietlschen Mikrokosmos um Hochstaplerei, Frauengenuss und Reichtumsträume war. Mit dem Theaterblut des Großvaters, Laiendarsteller eines Bauerntheaters, der umsorgten Erziehung durch die Mutter und beide Großmütter, während der biologische Vater, ein unbekannter Italiener, wie der Ziehvater durch Abwesenheit glänzen, zieht es den jungen Dietl früh zum Film. Mit seinem Talent zum Erzählen, mit der Auffassungsgabe, Menschen- und Milieukenntnis des Münchner Stadtkindes entwickelt er schließlich die erfolgreichen TV-Serien „Münchner Geschichten“, „Monaco Franze“ und „Kir Royal“, die ihn berühmt machen. In Patrick Süskind steht ihm ein hervorragender Sprachstilist zur Seite, in den von ihn geförderten Schauspielern wie Helmut Fischer und Veronika Ferres kongeniale Darsteller/-innen seiner Figuren. So erfahren die Leser/-innen viele Details und die Grundlinien dieses Lebens im Ringen um Selbst-Findung und teilweise liest sich der von Seidl gespannte Faden wie ein Schnitzlerscher Reigen von Frauen- und Motivgestalten, der bis zu Dietls Kinofilmen „Schtonk!“, „Rossini“ und „Zettl“ reicht. Dabei dringt er tief in die Bohème Münchens als heimlicher Hauptstadt der 70er bis 90er Jahre ein und bietet so nebenher eine kleine Kulturgeschichte der Film/Fernsehbranche dieser Stadt. Seidls Wortfindungen wie „Helmutdietlwerdung“ (S. 82) oder „mittelanspruchsvoll“ (S. 244) und einige Wiederholungen lassen freilich einen Lektor vermissen. Seidls kraftvolle und farbige Darstellung ist jedoch derart fesselnd, dass man keine Seite dieser 344 Seiten starken Biografie missen möchte. - Ein Muss für die Münchner Bibliotheken, eine schöne Kür für größere Bestände.
Helmut Krebs
rezensiert für den Borromäusverein.
Helmut Dietl - Der Mann im weißen Anzug
Claudius Seidl
Kiepenheuer & Witsch (2022)
344 Seiten
fest geb.