Was wir voneinander wissen
Eine junge Frau ist mit dem zweiten Kind schwanger. Sie versucht zu verstehen, was es bedeutet, ein Kind zu bekommen, und erinnert sich an die erste Schwangerschaft und die damals ausgestandenen Ängste. Etwas, das noch nicht sichtbar ist, hat Auswirkungen auf ihr Leben. Ihre Zweifel und Sorgen setzt sie in Bezug zu Biografien berühmter Wissenschaftler, die wie sie von Wissensdurst getrieben sind. Sie durchleuchtet ihr Inneres und Äußeres im Bewusstseinsstrom der Erinnerung. So wie Röntgen die Knochen seiner Hand sichtbar macht, möchte sie verstehen, was sie ausmacht. Nach dem Tod der Mutter erkrankte die Protagonistin wie Freud nach dem Tod des Vaters an einer Depression. Auch ihre Gedanken gleichen einer Analyse. Von ihrer Großmutter, einer Psychoanalytikerin, hat sie gelernt, über sich selber nachzudenken. Sie schaut sich Modelle des Anatomen und Präparators John Hunter an, der in der Mitte des 18. Jahrhunderts versucht hat, die menschliche Anatomie zu verstehen. Letztlich begreift sie, dass sich zwar vieles im Leben wiederholen kann, jeder Mensch aber seinen eigenen Weg gehen muss. - Die junge Autorin (Jahrg. 82) stellt nach einem Band mit Erzählungen in ihrem Debütroman eindrucksvoll ihr Talent unter Beweis. Nachdenklich und poetisch schildert sie die Auseinandersetzung einer jungen Frau mit dem Mutterwerden. Sprachlich virtuos verknüpft sie dabei Emotionen, Gedanken und wissenschaftliche Erkenntnisse. Ein besonderes Buch für literarisch interessierte Leser.
Susanne Emschermann
rezensiert für den Borromäusverein.
Was wir voneinander wissen
Jessie Greengrass ; aus dem Englischen von Andrea O'Brien
Kiepenheuer & Witsch (2020)
213 Seiten
fest geb.