Winterkorn
Die Mutter von Jule Anderson war verlobt und schwanger, als sie die Nachricht erhält, dass ihr zukünftiger Mann im Krieg gefallen ist. Sie heiratet nun einen Gelegenheitsarbeiter und bekommt mit ihm noch acht weitere Kinder. Ihren Stiefvater verachtet Jule Andersen, denn er handelt sehr egoistisch und beutet Frau und Familie regelrecht aus. Jule, die mit ihren Eltern und Geschwistern in einer 2-Zimmer-Mietwohnung aufwächst, sagt: "Mutter seet dann manchmal auch und weent, musst ja aushalten wie Winterkorn im Feld bei Heinrich mit den Gören und der Armut." (S. 39) - Das Buch ist entstanden aus Gesprächen mit Theodor Buhl, dem Autor, und Jule Andersen. Bei diesen Gesprächen lief ein Tonband mit, und der Autor hat versucht, die Lebensgeschichte möglichst originalgetreu wiederzugeben. Deshalb ist das Buch auch aus einer Mischung von Nieder- und Hochdeutsch geschrieben. So bekommt man unverfälscht die Einstellung dieser einfachen Frau zum Nationalsozialismus, zum Kommunismus und zu aktuellen Zeitproblemen mit. Sie hat ihre eigene Weltsicht und ein spezielles Verhältnis zur Religion. Sie macht sich eben über alles ihre Gedanken: "Ich bilde mir ein, wenn man so viel von Toten träumt, muss es doch eine Bewandtnis haben ... Irgendwo muss doch was sein."(S. 196) - Das Buch gibt einen direkten unverblümten Einblick in das erbärmliche Leben der untersten sozialen Schicht zu Beginn des vorigen Jahrhunderts. Für alle, denen es nicht zu mühsam ist Mundartliches zu lesen, ein hervorragendes Buch.
Margrit Diekmann
rezensiert für den Borromäusverein.
Winterkorn
Theodor Buhl
Kindler (2012)
203 S.
fest geb.