Krieg
Wie gut kann ein Roman von einem Autor mit dubioser, ja verwerflicher Moral sein? Die Frage stellt sich in aller Schärfe angesichts des Romans „Krieg“, der aus dem 2021 entdeckten Manuskriptnachlass des französischen Autors Louis-Ferdinand Céline aufgetaucht ist. Céline wird aufgrund seiner antisemitischen Pamphlete Rassismus vorgeworfen, er war Vichy-Kollaborateur und Hitler-Sympathisant, und so unterschiedliche Schriftsteller wie Ernst Jünger und Thomas Mann waren nicht gut auf ihn zu sprechen. Freilich, in Frankreich gilt Céline als Spracherneuerer und literarischer Grenzüberschreiter. Deshalb sollte man, bevor man sich die Lektüre von „Krieg“ antut, das abwägende Vorwort von Niklas Bender lesen. Man müsse diesem Autor misstrauen, schreibt Bender, aber auch jenen, die ihn verklären. Und der Roman selbst? Er setzt fragmentarisch ein. Der Ich-Erzähler Ferdinand wird schwer verletzt in ein Lazarett gebracht. Es trägt den Namen „Peurdu-sur-la-Lys“, ein Kunstwort, in dem das französische „perdu“, „verloren“, mit „peur“, der „Angst“ und Lys, die Lilie, die Wappenblume des französischen Könighauses, mit der Geschlechtskrankheit „Lys“ verkreuzt werden. Diese Zwangsverheiratung von Wörtern, die sich im Krieg kennengelernt haben, ist bezeichnend für Célines Stil. In Ferdinands Erzählung von dem brutalen Lazarett, von seiner gescheiterten Rehabilitation, von seinen Beziehungen zu dem amoralischen Cascade und seiner zwangsprostituierten Frau Angèle und von seiner verzweifelten Flucht aus dem Heimatland schwingen die Grausamkeiten des Krieges mit, die stets unerbittlich benannt und unaufhörlich vergeblich gebannt werden. Ein überhitzter, herausfordernder Roman, eine Warntafel vor der physischen und sprachlichen Verrohung im Krieg, über deren pazifistische Lesart man streiten kann.
Michael Braun
rezensiert für den Borromäusverein.
Krieg
Louis-Ferdinand Céline ; aus dem Französischen von Pascal Fouché
Rowohlt (2023)
187 Seiten : Illustrationen
fest geb.