Vierundsiebzig
Nach ihrer autobiografischen Erzählung "Die Sommer" (BP/mp 20/944) widmet sich die deutsch-kurdische Autorin erneut ihrem Lebensthema, dem Völkermord an den Jesiden. Sie versucht dabei, die geschehenen Gräuel möglichst präzise und doch literarisch
zu beschreiben, quasi eine eigene Sprache dafür zu finden. Dafür berichtet sie von ihren Reisen in die Region, von ihren Begegnungen mit den Menschen und den Schicksalen der Überlebenden, und auch derer, die nicht mehr selbst für sich sprechen können. Sie möchte verstehen, was in den Köpfen der Täter vorging, mit ihnen sprechen, und stellt sich beispielhaft die Deutsche Jennifer vor, deren Fall hier publik wurde, da sie mit ihrem Mann ein jesidisches Mädchen im Hof anband und verdursten ließ. Trotz der Gemeinsamkeiten der beiden in Bezug auf Alter, Sprache und Herkunft kommt Othman jedoch zu dem Schluss, dass sie sich nichts zu sagen haben werden. - Ein schonungslos ehrliches Buch, das unter die Haut geht und tiefe Spuren hinterlässt. Breit einsetzbar.
Martina Häusler
rezensiert für den Borromäusverein.

Vierundsiebzig
Ronya Othmann
Rowohlt (2024)
507 Seiten : Illustrationen, Karten
fest geb.