Das Wiedersehen
Die Titelgeschichte dieses Bandes handelt von einer dunkelhäutigen Professorin, die lange in Rom gelebt hat und die Stadt liebt, aber trotzdem als Fremde wahrgenommen wird. Die meisten Protagonist:innen in den 14 Geschichten haben ausländische Wurzeln,
einige wohnen nur zeitweise in Rom. Herzzerreißend sind einige Geschichten über heimatlose, oft prekär beschäftigte Zugewanderte, die ihre Hoffnungen auf ein besseres Leben enttäuscht sehen. Aus rassistischen Motiven werden sie mal subtil ausgegrenzt, mal tätlich angegriffen. Dazu gehört eine junge, zugewanderte Familie, die endlich in eine eigene Wohnung ziehen kann, aber wegen Anfeindungen der Nachbarn zum Auszug gedrängt wird. Anders gelagert und weniger überzeugend ist die Geschichte eines wohlhabenden amerikanischen Paares, das versucht, in Rom einen Schicksalsschlag zu verarbeiten oder die eines Autors, der sich eine leidenschaftliche Affäre mit einer flüchtigen Bekanntschaft ausmalt. Sechs der Geschichten ranken sich um Personen rund um die Spanische Treppe. Mit einer Bemerkung der Icherzählerin der letzten Geschichte könnte man die ganze Sammlung zusammenfassen: „Was für eine Scheißstadt … aber wie schön sie ist.“ Die mit dem Pulitzerpreis ausgezeichnete indisch-amerikanische Autorin Jhumpa Lahiri (zul. „Wo ich mich finde“, BP/mp 20/701) hat in Rom gelebt und schreibt vorwiegend in ihrer Wahlsprache Italienisch. Wer gerne Kurzgeschichten liest, sei dieser ergreifende Erzählband einer außergewöhnlichen Autorin, die von Kollegen wie Salman Rushdie und Khaled Hosseini geschätzt wird, wärmstens empfohlen.
Maria Holgersson
rezensiert für den Borromäusverein.

Das Wiedersehen
Jhumpa Lahiri ; aus dem Italienischen von Julika Brandestini
Rowohlt (2024)
253 Seiten
fest geb.