Ginster

Der sehr vielseitige deutsch-jüdische Intellektuelle (1989-1966), der ohne Zweifel in erster Linie als Soziologe, Kulturphilosoph, Filmkritiker und Journalist bekannt geworden ist, hat auch zwei autobiografisch geprägte Romane verfasst, von denen Ginster der 1928 zunächst anonym erschienene Erstling das Schicksal des jungen Architekten Ginster beschreibt, dem es lange Zeit gelingt, einer Einberufung zum Militärdienst zu entgehen. Als er schließlich 1917 doch einberufen wird, kann er sich ärztliche Atteste verschaffen, die ihn zumindest vor einem Einsatz an der Front schützen. Im "militärischen Hinterland" lernt er - und dies wird mit beißend-ironischer Ausführlichkeit beschrieben - so wichtige Dinge wie formvollendetes militärisches Grüßen, Exerzieren, Marschieren, Waffenpflege, Bettenbau, "Kartoffeln gegen den Feind" schälen ... Obwohl der Autor das alles seltsam emotionslos mitteilt und die völlig undramatische Etappenexistenz seines Drückeberger-Helden ins Zentrum stellt, vom Kriegsgeschehen allenfalls am Rande erzählt, muss man den Roman wohl als subtilen, gegen den Strich gebürsteten Antikriegsroman verstehen, der der Absurdität der Jahrhundertkatastrophe einerseits mit einer auf die Spitze getriebenen, grotesken Komik beizukommen versucht, der sich andererseits in eine immer deutlicher werdende sprachliche Isolation begibt. Diese metapherngesättigte Hermetik charakterisiert diesen Roman, unterscheidet ihn z.B. von Heinrich Manns gefällig genießbarem "Untertan" oder auch von Remarques blutig-realistischen Schlachtenschilderungen, macht ihn mühsamer lesbar und ist gleichzeitig von staunenswerter sprachlicher Originalität. Für ambitionierte Leser ist diese Neuauflage zu empfehlen.

Helmer Passon

Helmer Passon

rezensiert für den Sankt Michaelsbund.

Ginster

Ginster

Siegfried Kracauer
Suhrkamp (2013)

341 S.
fest geb.

MedienNr.: 380714
ISBN 978-3-518-42353-0
9783518423530
ca. 10,00 € Preis ohne Gewähr
Systematik: SL
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