Das Leben eines Anderen

Mit Keiichiro Hirano gibt es einen zeitgenössischen Autor aus Japan zu entdecken, der sein literarisches Handwerk an den Klassikern des japanischen Romans des 20. Jh. wie Kobo Abe oder Kenzaburo Oe geschult hat. Obgleich in Japan spätestens seit Das Leben eines Anderen Verleihung des renommierten Akutagawa-Preis 1998 hochrangiger Autor, erscheint mit dem vorliegenden Roman erstmalig etwas von Hirano in unserer Sprache. Es wird Zeit. Denn schon ist eine Verfilmung des Buchs in Vorbereitung und der Stoff sowie der spannungsvolle Erzählfluss lassen Leserherzen höherschlagen. Protagonist des Romans ist Kido, ein Anwalt, der im Auftrag der Witwe der Identität ihres verunglückten Mannes nachspüren soll. Menschen, die sich eine Doppelexistenz verschaffen, den Namen wechseln und die ihre Familien oft ein ganzes Leben lang über ihre wahre Identität im Unklaren lassen, sind auch uns Europäern bekannt. Der komplexe Identitätstausch, den Kido allmählich aufdeckt und der den End-30jährigen selbst zum Hadern mit seiner Ehe bringt, ist durch die Beschreibung gesellschaftlicher Probleme (Fremdenhass, Erdbeben, Nationalismus) und Familienkonstellationen selbst von großer Komplexität. Sie meistert der Autor mit einem an Detektivromanen geschulten Blick, der zwischen Dialogen und bündigen Sätzen immer wieder die Verunsicherung des Lesers im Annähern an die Identität des Toten und dessen, dessen Namen er führte, zur Spannungsblüte treibt. Krimileser wie Freunde anspruchsvoller Literatur finden beste Unterhaltung auf hohem Niveau. Nachdrückliche Empfehlung.

Helmut Krebs

Helmut Krebs

rezensiert für den Borromäusverein.

Das Leben eines Anderen

Das Leben eines Anderen

Keiichiro Hirano ; aus dem Japanischen von Nora Bierich
Suhrkamp (2022)

333 Seiten
fest geb.

MedienNr.: 610445
ISBN 978-3-518-43055-2
9783518430552
ca. 25,00 € Preis ohne Gewähr
Systematik: SL
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