Die Welt von morgen
Der Titel des Werks knüpft an Stefan Zweigs "Die Welt von gestern" an, dem wehmütigen Blick zurück auf das Mitteleuropa unter der Habsburg-Monarchie vor 1914. Deren Verfasstheit als übernationales Gebilde, bürgernah, bunt, subsidiär, wenn auch monarchisch, birgt für Robert Manesse die Inspiration für eine nachnationale Europäische Union, die erstrebenswerte politische Vision des Autors. In knapp vierzig Skizzen werden Betrachtungen zu Wesen und Struktur des Modells umrissen. Dreh- und Angelpunkt ist für den Autor der Ersatz des Völkerrechts durch die Menschenrechte. Sie sollen den künftigen "demos" Europas konstituieren, jenseits aller Kulturen, Sprachen und Traditionen. Als Leser sympathisiert man mit den Grundgedanken der Vision, zeigt Bewunderung für den Mut des Träumers und schätzt erste gut sortierte Gedanken zur Umsetzung. Um sich im nächsten Moment das ungeheure Maß an Auslassungen, Illusionen und Wünschbarkeiten zu vergegenwärtigen, die einer Realisierung auch nur im Ansatz entgegenstehen. Der Autor will keinen Projektplan liefern, eher in einer Zeit der Krise einen Aufbruch zu neuen Ufern befeuern. Der Stil ist leidenschaftlich, zuweilen unduldsam und immer wieder mit dem Schmäh durchsetzt, den man Wienern nachsagt. – Lesenswert für Bewunderer wie Skeptiker der Europäischen Union gleichermaßen.
Werner Wagner
rezensiert für den Sankt Michaelsbund.
Die Welt von morgen
Robert Menasse
Suhrkamp (2024)
191 Seiten : Illustration
fest geb.