Berenice
Schon das Original, Poes Erzählung der Liebe zwischen einer Totkranken und einem dem Wahn Verfallenen, hat die dunklen Seiten menschlicher Liebe zum Thema. In vorliegender Graphic Novel hat der Autor die Geschichte ins moderne Japan transformiert. Der Erzähler ist durch seine Krankheit ans Haus gefesselt und beobachtet seine Angebetete über ihre höchst erfolgreiche Streaming-Website, in der sie ihre zahlreichen Fans an einem Selbstmordversuch und dann an ihrem Leben teilnehmen lässt. Sie gründet einen erfolgreichen Versand persönlicher Gegenstände, bis hin zu gebrauchten Slips. Der Erzähler verliert sich in einer Liebe, die von Fetischismus, von krankhafter Obsession und dem Wunsch nach Besitz und Vollendung bestimmt wird. Doch die Vollendung erreicht er erst nach ihrem Selbstmord durch Erhängen und den Besitz ihrer Zähne. Da schließt sich der Kreis wieder zu der Original-Erzählung. Sowohl Poe als auch Jüliger verstehen es, auf wenigen Seiten Liebe als etwas krankhaft Dunkles, Übermächtiges und Verzehrendes darzustellen. Die künstlerische Umsetzung in der Graphic Novel ist bestürzend gut gelungen. Die Frage bleibt nur, ob man solche Werke im Verleih anbieten soll, zumal der Preis für den kleinen Band relativ hoch erscheint.
Lotte Schüler
rezensiert für den Borromäusverein.
Berenice
Edgar Allan Poe ; Lukas Jüliger
Carlsen (2018)
Die Unheimlichen
58 S. : überw. Ill. (farb.)
fest geb.