Kein einziger Tag
Der ebenso skurrile wie spannende Roman der österreichischen Autorin zwingt den Leser, sich zu vergegenwärtigen, was eine operative Trennung zweier über lange Jahre miteinander verwachsener siamesischer Zwillinge für beide bedeuten mag: Die gewaltsame Aufhebung der innigst-denkbaren Verbindung für den einen, das euphorische Erleben von Freiheit und selbstbestimmter Privatheit für den anderen. Während Paco, der dominantere der beiden Brüder, auf die operative Trennung zutiefst verstört, ja geradezu panisch reagiert, empfindet Paul, der das Zusammenleben als permanente Unterdrückung erlebt hatte, eine "ungeheure Erleichterung" (S. 36). Da Paco auch weiterhin auf hartnäckigste Weise die körperliche Nähe des Bruders sucht, weiß der sich nur durch eine regelrechte Flucht zu helfen. Nach vielen Jahren der Trennung spürt Paco seinen Bruder jedoch wieder auf und zieht unter einem Vorwand bei ihm ein. War für Paco die Zeit der Trennung eine Zeit des Leidens, so beginnt nun für Paul, aus dessen Perspektive durchweg erzählt wird, eine Zeit der Angst, der Abwehr und der Verunsicherung. An keinem einzigen Tag sind beide wirklich frei voneinander. Es zeigt sich - und dies wird tatsächlich außerordentlich authentisch und nachvollziehbar geschildert -, dass beide auf jeweils andere Weise durch die quasi-symbiotische Verbindung und durch die anschließende Trennung schwerste psychische Deformationen davongetragen haben, was schließlich das ebenso spektakulär-phantastische wie makabre Ende der Geschichte plausibel erscheinen lässt. In dem schnörkellos und flüssig erzählten Roman gelingt es der österreichischen Autorin vortrefflich, die Spannung bis zum unerwarteten Finale zu steigern. Eine spannende Mischung aus Psychothriller und Liebesgeschichte!
Kein einziger Tag
Linda Stift
Deuticke (2011)
171 S.
fest geb.