Winternähe
Die Berlinerin Lola arbeitet in der Medienbranche. Ein Bild von ihr wird durch ein Hitlerbärtchen verunstaltet. Sie zeigt die Täter an, verliert aber den Prozess. Auch bei den Kollegen begegnet sie latentem Antisemitismus. Dabei muss sich Lola mit der Tatsache auseinandersetzen, dass nur ihr Vater aus einer jüdischen Familie stammt, bei der sie in Ost-Berlin aufwuchs. Lola gilt also nach jüdischem Religionsrecht nicht als Jüdin. Nicht zuletzt wegen eines jungen Mannes reist sie nach Israel. Dort erlebt sie das quirlige Tel Aviv, aber auch 2014 die Angriffe mit Raketen aus dem Gazastreifen. Der Mann, der als Soldat massiv in einen direkten Konflikt mit schlimmem Ausgang verwickelt war, setzt sich trotz allem für eine Versöhnung zwischen Israelis und Arabern ein. Lola reist nach den bedrückenden Erfahrungen weiter nach Thailand, wo sie sich auf einer einsamen Insel den vielen Fragen ihres Lebens stellt. Auch der, warum ihr Vater den Kontakt nach Europa und zu ihr abgebrochen hat. - Die Schilderungen sind geprägt von den vielen Fragen der Enkelgeneration. Was für einen jungen Deutschen 70 Jahre alte Vergangenheit ist, hat Lolas Großmutter noch selbst erleiden müssen. Das Konfliktpotenzial wird bei Lola noch verstärkt, weil sie um ihre (religiöse) Identität kämpfen muss. Und auch noch den Weggang ihres Vaters verarbeiten muss, der zuerst aus der DDR floh, aber dann mit seiner zweiten Frau nach Australien auswanderte. In die kurze Episode aus Lolas Leben hat die Autorin eine Fülle von Problemen gepackt, was dem Leser die Identifikation mit der Hauptfigur nicht leicht macht. Es ist verständlich, dass Lola mit Wut, aber auch einer Portion Humor und Selbstironie agieren muss, um sie selbst sein zu können. Ein interessanter, sehr lesenswerter Debütroman.
Pauline Lindner
rezensiert für den Sankt Michaelsbund.
Winternähe
Mirna Funk
Fischer Taschenbuch (2017)
324 Seiten
kt.