Anfänge
Unbeschadet der Einsicht, dass Europa nicht der Nabel der Welt ist, haben sich doch noch viele eurozentristische Denkformen erhalten, die suggerieren, dass Ideale wie Freiheit und Gleichheit als Errungenschaften der Aufklärung über die Menschheit gekommen seien. Die Anthropologen D. Graeber und D. Wengrow entlarven dies als ideologisches Konstrukt und versuchen in Abkehr von gängigen gesellschaftstheoretischen Stereotypen (Rousseau, Hobbes, Marx, Pinker), den frühen Kulturen der Alten wie der Neuen Welt ihre meist unterschlagene Bedeutung für die Entwicklung der Menschheit wieder zurückzugeben. So wird z.B. auf der Basis französischer, meist aus der Feder von Jesuiten stammender Missionsberichte des 17. Jh. ein historisch durchaus stimmiges Bild der indigenen Völker Nordamerikas gezeichnet, das sowohl die Vorstellungen von primitiven Zivilisationen als auch allzu oberflächliche Verklärungen der "edlen Wilden" weit hinter sich lässt. Wir werden konfrontiert mit in Europa bis weit in die Neuzeit fast unbekannten Formen der Humanität im Zusammenleben und einem nahezu provozierenden Bewusstsein von persönlicher Freiheit. Gerade solche Erfahrungen mit den Indigenen seien, so eine zentrale These der Autoren, für die Menschenrechtsdebatten auf dem alten Kontinent zu einem mächtigen Impuls geworden. Ein Buch, das Licht in bislang viele dunkle Ecken der Universalgeschichte bringt!
Martin Niedermeier
rezensiert für den Sankt Michaelsbund.
Anfänge
David Graeber, David Wengrow ; aus dem Amerikanischen übersetzt von Henning Dedekind [und 2 weiteren]
Klett-Cotta (2022)
667 Seiten
fest geb.