Der große Wind der Zeit
Libby ist eine junge Israelin, die während ihres Wehrdienstes als Verhörspezialistin arbeitet. Durch ihre psychologisch kluge Art der Befragungen bekommt sie viele Geständnisse von Attentätern und deren Handlangern. Den Verhören folgen Strafmaßnahmen wie Hauszerstörung, Vergeltungsschlag, dann Prozess, Haft - immer der gleiche Kreislauf. Libby verlässt die Armee und sucht Ruhe im Haus ihres Großvaters Uri. Libby ist die vierte Generation ihrer Familie, Einwanderern aus Afrika und Österreich, die das größtenteils von Palästinensern bewohnte Land bebauten, im Kibbuz lebten und sich behaupteten, in Kämpfen gegen die Araber ihre junge Nation verteidigten. Libby findet Tagebücher ihrer Uroma, die ein bewegtes Leben in Berlin und Wien geführt hatte. Und sie erfährt erstmals viele Einzelheiten über das Leben ihrer Großeltern und Eltern. - In diesem Familienepos erinnert der Autor an die vielschichtigen Lebensentwürfe der Israelis. Er setzt sich kritisch mit dem Verhältnis Israels zu den Palästinensern auseinander, kritisiert die Politiker und frömmelnde Orthodoxe. Die Ausflüge in die Geschichte Deutschlands mit der Machtergreifung Hitlers ergeben sich aus den umfangreichen Aufzeichnungen, welche die Protagonistin Libby zu eigenen Recherchen bei der Spurensuche animiert. Es ist allerdings nicht so ganz einfach, die vielen Figuren richtig zuzuordnen. Viele Zeitsprünge und Perspektivwechsel erfordern aufmerksames Lesen. Die Sprache ist gelegentlich radikal; es gibt obszöne Passagen. Insgesamt ein vielschichtiges, eindrucksvolles Werk.
Erwin Wieser
rezensiert für den Sankt Michaelsbund.
Der große Wind der Zeit
Joshua Sobol ; aus dem Hebräischen von Barbara Linner
Luchterhand (2021)
525 Seiten
fest geb.