Das Buch Hiob und das Schicksal des jüdischen Volkes
Als die jüdische Philosophin Margarete Susman 1946 ihr Hiob-Buch schrieb, waren die entsetzlichen Wunden und die Leiden, die der Holocaust durch die Nationalsozialisten ihrem Volk geschlagen hatte, noch frisch. Dennoch versteht Susman dieses Leid nie nur als exklusiv jüdisch, sondern in Stellvertretung für das Leiden der ganzen Menschheit durch alle Zeiten hindurch. Und sie sieht es gleichsam exemplarisch vorgebildet im Schicksal des - wie er oft bezeichnet wird - "frommen Dulders" Hiob, der, ohne je eine persönliche Schuld auf sich geladen zu haben, durch unsägliche Schicksalsschläge zum Ausgestoßenen wird, so dass er Gott und seine Gerechtigkeit nicht mehr versteht. Aber gerade darin liegt auch für Susman Hiobs gegenüber allen Theodizee-Versuchen wahre Frömmigkeit: Er akzeptiert schließlich, dass Gott der ganz Andere ist, dessen Ewigkeit alles nur Zeitliche und jede nur weltanschauliche Konstruktion aufsprengt. Wie in Hiobs Leben zeigt sich auch im Schicksal der Juden: Gott ist nicht zu begreifen, aber gerade in seiner Unbegreifbarkeit ist er da. Diese eminent theologische Sichtweise der jüdischen Geschichte war und ist bis heute umstritten, weil man darin eine Nivellierung des Holocaust zu erkennen glaubt; dabei hat sie das Potential, weitaus stabilere Brücken zwischen dem Judentum und dem Christentum, ja zur Menschheit als ganzer zu schlagen.
Richard Niedermeier
rezensiert für den Sankt Michaelsbund.
Das Buch Hiob und das Schicksal des jüdischen Volkes
Margarete Susman
Suhrkamp Verlag Jüdischer Verlag (2022)
191 Seiten
fest geb.