feuchtes holz
Der Debütroman der 1990 in Wien geborenen Sophia Lunra Schnack erzählt ein großes Thema mit leichter Hand. Es geht um die Konsequenzen von Abschieden in vier Generationen, die zurückreichen in die NS- und die Nachkriegszeit. Manchmal sind diese Abschiede ein Trigger-Alarm für Erinnerungen, die unbotmäßig sind und irritieren. Das ist der Fall bei dem Urgroßvater, der die Kriegsendsituationen 1918 und 1945 miteinander vergleicht, aber ein Trauma aus diesen „Zusammenbruchstagen“ mit sich schleppt. Der Großvater der Erzählerin hatte seinen Zwillingsbruder in den letzten Kriegsjahren verloren. Diese eingesargten Erinnerungen sind die negative Folge des Abschiednehmens. Die Erzählerin wird davon überrumpelt, als sie an die Orte ihrer Kindheit zurückkehrt und das feuchte Holz einer Brücke riecht, über die sie immer gelaufen ist. Schnacks Roman ist ein eindrucksvolles Zeugnis der literarischen Sinneskraft von Erinnerungsorten, ein Buch über eine geradezu körperliche Erfahrung des Eingedenkens. Die entlädt sich auch in der formalen Gestalt des Buches. In die eher kürzeren Prosapassagen des Buches sind viele eindringliche Kurzverse eingetropft. Sie bringen zu einem langsamen Lesen, das der Aufmerksamkeit für das Thema dieses Romans, der eigentlich gar keiner ist, gut tut. Eine Meditation über Generationen und Memoiren, über Lebenslinien und Geräuschkulissen. Ein staunenswertes und wagemutiges Debüt, auf diese Autorin wird man achten müssen. Sehr empfehlenswert.
Michael Braun
rezensiert für den Borromäusverein.
feuchtes holz
Sophie Lunra Schnack
Otto Müller Verlag (2023)
320 Seiten
fest geb.