Gebrochen-Weiß
Das (damals noch) zu den Niederlanden gehörende südamerikanische Suriname in den 60er Jahren. In der Metropole Paramaribo lebt Familie Vanta, deren Geschichte die Autorin anhand vor allem der Frauengestalten in drei Generationen erzählt: Da ist Großmutter Bernadette, genannt Bee, pflegebedürftig und schwer krank, aber immer noch so etwas wie die Patriarchin der Familie. Ihre Tochter Louise wohnt nicht weit entfernt mit ihren Töchtern Heli, Imker und Babs und dem jüngsten Sohn Audi in einem eigenen Haus. Weil Heli eine Affäre mit einem höheren Regierungsbeamten hat, was man "oben" nicht will, wird sie kurzerhand nach Utrecht in die Niederlande geschickt. Wie Bee leidet Louise immer noch an den Brüchen in ihrer Familie. Als auch noch Tochter Imker Louises Haus verlässt, um zur Oma zu ziehen, geraten die nach außen stabilen Festen der Familie endgültig ins Wanken. - Mit außerordentlichem literarischem Können erzählt die Autorin nicht nur die Geschichte einer Familie aus der Sicht der Frauen. Der Umbruch in der Familie steht gleichzeitig für die Auflösung der kolonialen Strukturen in Suriname, für den Prozess der gesellschaftlichen Identitätsfindung der Menschen in Suriname am Vorabend der Unabhängigkeit. Dabei zeigt Roemer eine schriftstellerische Qualität, die den Vergleich mit einem Autor wie García Márquez nicht scheuen muss. Ein großes Lob auch an die Übersetzerin Bettina Bach, die den durchaus komplexen Stil der Autorin hervorragend ins Deutsche übertragen hat. Dieser Roman ist genau das Richtige für Freunde gehobener Belletristik, gleichzeitig aber auch gute Lektüre für all diejenigen, die gut unterhalten werden wollen und dabei ganz en passant eine Menge an unbekannter Zeitgeschichte lernen. Eine literarische Delikatesse, sehr empfohlen.
Günter Bielemeier
rezensiert für den Sankt Michaelsbund.
Gebrochen-Weiß
Astrid H. Roemer ; aus dem Niederländischen von Bettina Bach
Residenz Verlag (2023)
431 Seiten
fest geb.