Nicht schwindelfrei
Arno Geigers "Der alte König in seinem Exil" ist das berühmteste Beispiel der Demenz-Romane, die vom Phänomen des Vergessens frei von trostloser Diagnostik und mühseliger Sozialtherapie erzählen. Daran schließt auch der Psychologe und Schriftsteller Jürg Schubiger an. Sein Buch "Nicht schwindelfrei" berichtet von einem Mann namens Paul im arbeitsfähigen Alter, ein Journalist, der seinen Erinnerungsverlust positiv verarbeitet. "Aufforstung", sagt er dazu, freut sich über seine von Gedächtnislasten befreite Wahrnehmung, die eine stabile Welt stiftenden Bilder im Museum, die Musik, Straßenbahnfahrten und Begegnungen mit fremden Frauen. Zugleich gelingt noch ein halbwegs ritualisiertes Familienleben mit seiner vielreisenden Frau und dem minderjährigen Sohn. Der Reiz des Buches liegt darin, dass Schubiger aus der selbstzufriedenen Innensicht seines Protagonisten immer wieder in den neutralen Bericht wechselt und so dem Leser eine Außensicht auf Paul ermöglicht. So entsteht ein mehrschichtiges Bild von der Lebenskunst des Vergessens. Empfehlenswert.
Michael Braun
rezensiert für den Borromäusverein.
Nicht schwindelfrei
Jürg Schubiger
Haymon (2014)
112 S.
fest geb.