Amur, großer Fluss
Bald würde sie ihn wiedersehen. Olga, wissenschaftliche Zeichnerin und Illustratorin, denkt an Radu, der immer wieder auf Reisen ist, um Dokumentarfilme zu drehen. Am liebsten reisen sie zusammen an entlegene Orte, gelegentlich besucht er sie in ihrem Dorf. Mal begleitet sie ihn zum Flughafen, mal ist sie so beschäftigt, dass sie sein Fortgehen erst bemerkt, wenn die Tür ins Schloss fällt. Dann erscheint ihr das Glück wie ein unwirtlicher Ort, ganz nahe am Abgrund gebaut. - Der zweite Roman der Schweizer Lyrikerin und Schriftstellerin Leta Semadeni beschreibt das Leben aus Sicht der Protagonistin Olga. Es setzt sich aus poetischen Momentaufnahmen einer Liebe zusammen, die sich aus Olgas Beobachtungen, Gedanken, Erinnerungen und Sehnsüchten speisen. Radu ist immer da, auch wenn er auf Reisen ist. Er ist da, wenn sie an ihn denkt. Er ist da, während sie arbeitet und ihr Leben lebt. Wenn sie auf ihn wartet, sich an Momente mit ihm erinnert oder zusammenzuckt, wenn die Tür hinter ihm ins Schloss fällt. In wunderschön poetischen Miniaturen führt das Buch die Leserin durch berührende Lebensmomente, deren Intensität man sich kaum entziehen kann. Empfehlenswert.
Christiane Raeder
rezensiert für den Borromäusverein.
Amur, großer Fluss
Leta Semadeni
Atlantis (2022)
183 Seiten
fest geb.