Der Platz
Annie Ernaux' Vater war ein Bauernsohn, ernährte später als Fabrikarbeiter und Kneipenwirt die Familie. Jeder Berufswechsel war ein kleiner Aufstieg in der gesellschaftlichen Hierarchie. Die Sprache definierte klar die gesellschaftliche Stellung eines Menschen, wer Dialekt sprach, war Arbeiterklasse. Annies Mutter wollte für ihre Tochter ein besseres Leben und schickte sie auf die Höhere Schule. Hier lernt die Tochter "Hochfranzösisch" zu sprechen. Mit diesem Sprachwechsel beginnt das Mädchen, sich von ihrer Familie innerlich zu entfernen, lernt die Lebensweise der Eltern der Klassenkameradinnen, mit der ihrer Eltern zu vergleichen. Annie will so leben wie ihre Klassenkameradinnen. Damit muss das Mädchen akzeptieren, dass es eine Kluft zwischen ihr und ihrem Vater geben wird. Das Ein-Personen-Hörspiel lebt vom Nebeneinander der Zeitlinien, den unvermittelten Brüchen in der Handlung. Da stehen die Erinnerungen an das Herkunftsmilieu neben Personenbeschreibungen, die Sätze aus dem Elternhaus im Dialekt führen zu Reflexionen der Autorin auf ihr eigenes Verhalten. Es gelingt Stephanie Eidt, die vielen einzelnen Facetten so zu sprechen, dass der Zuhörer nie den Faden der Handlung verliert. Die Zweifel und die Zuneigung, aber auch die Entfremdung und das Akzeptieren dieser Entfremdung werden glaubhaft und spannend durch Frau Eidt vorgetragen. Das Hörspiel ist für interessierte und aufgeschlossene Hörer/-innen eine sehr gute und anregende Unterhaltung. Die CD kann auch kleineren Büchereien empfohlen werden.
Leoni Heister
rezensiert für den Borromäusverein.
Der Platz
Annie Ernaux ; Hörspiel mit Stephanie Eidt ; Hörspielbearbeitung und Regie: Erik Altorfer ; Übersetzung aus dem Französischen von Sonja Finck
Der Audio Verlag (2020)
1 CD (circa 78 min)
CD