Nach uns der Sturm

Zum Debüt der malaysischen Autorin Vanessa Chan verschweigt der Verlag deren Geburtsjahrgang. Es sind vermutlich Erzählungen der Großelterngeneration, die Chan dazu bewogen, in dem Buch ein Familienschicksal zur Zeit des Zweiten Weltkriegs in Malaysia Nach uns der Sturm (damals: Malaya) zu schildern. Und sie tut es mit einer an Erzählfluss und farbiger Situationsschilderung orientierten Sprache, die es dem Leser leicht macht, den Sprüngen zwischen der Zeit der britischen Kolonialmacht 1939 und jener der japanischen Besatzung 1945 zu folgen. Aus einer Spionagegeschichte, in die die verheiratete Protagonistin Cecily aus Liebe zu einem japanischen Spion verwickelt wird, entwickelt sich eine bis zum Verschwinden des Sohnes gesteigerte Spannung. Dass die Familie dabei zerrissen wird, der Vater schließlich stirbt und die Mutter ihre beiden Töchter in desolaten Zuständen zurücklassen muss, gehört zu den Bitternissen, von denen der Roman viele vorzuweisen hat. Der 15jährige Sohn Abel wird von den Japanern zur Zwangsarbeit herangezogen und aufs schlimmste misshandelt, so dass er im Lager dem Alkohol verfällt. Seine jüngste Schwester verbrennt gar am Schluss bei einem Fliegerangriff im Bordell, in dem ihre ebenfalls minderjährige Freundin (und Halbschwester, wie der Leser erfährt) missbraucht wird. Neben diesen hoffnungslos scheinenden, teils der Dramaturgie von Kriegsromanen folgenden Szenen, bilden die kleinen Momente der Liebe, der Freundschaft und des gesellschaftlichen Lebens in den Kolonialkreisen wenige Ruhepunkte. – Interesse verdient der Roman vor allem durch sein hierzulande wenig bekanntes Sujet, die Geschichte Malaysias und seiner heterogenen Bevölkerung bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs (seit 1963 erst unabhängig). Die Psychologie des Verrats, mit der die Autorin spielt, ist leider nicht weiter ausgeführt. Ihr Verständnis für die Mädchen, die ihre Phantasiewelt gegen die Bedrohung und Gewalt der Realität setzen, zeigt gutes Einfühlungsvermögen und starke erzählerische Momente. Wer sich an Ausdrücke wie „Menschen wie Steaks zerstückelt“ (S. 358) nicht stört, wird eine spannende und die Verwicklungen des Kolonialismus, Sexismus und Rassismus schildernde Lektüre genießen können. Auch wenn die Vielfalt von Gewalt in dem Buch den in Friedenszeiten aufgewachsenen Leser befremdet, mag ihre Schilderung dem Realismus geschuldet sein, mit dem die Autorin ihr Publikum fesseln will. Durch die Konstruktion mit Spionage und der beiden Zeitebenen hat sie dies durchaus verstanden. Somit, mit dem erwähnten Vorbehalt, eine Empfehlung für alle Bestände.

Helmut Krebs

Helmut Krebs

rezensiert für den Borromäusverein.

Nach uns der Sturm

Nach uns der Sturm

Vanessa Chan ; aus dem amerikanischen Englisch von Brigitte Jakobeit
Ecco (2024)

415 Seiten
fest geb.

MedienNr.: 620590
ISBN 978-3-7530-0097-8
9783753000978
ca. 24,00 € Preis ohne Gewähr
Systematik: SL
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