Damenschach
Marie-Louise, kaum erwacht, langweilt sich. Trotz üppigen Frühstücks, serviert in einer exzentrischen Wiener Architektenvilla, trotz ihres 50. Geburtstages. Nach diesem schrägen Beginn löst Finn Jobs zweiter Roman zunächst den Ironiebonus ein,
den er verspricht. Mit Champagner empfängt die wohlstandsverwöhnte Witwe ihren Hausfreund David, einen Psychoanalytiker, der partout nicht in einer Tragödie leben will, die blutig endet. Madame erwartet weitere Gäste, vor allem ihre Zwillingsschwester Marie-Claire, die nun als Mann lebt und Marius heißt. Es wird wenig gegessen und umso mehr getrunken, und der Stoff, aus dem die Dialoge sind, besteht aus Allgemeinplätzen über Feminismus und Rassismus, aus Fragmenten aus guten Gedichten und schlechten Erinnerungen – und kreist immer wieder um die Frage, warum es so schlimm sein soll, wenn Frauen keine Männer sein wollen und wann ein Mann ein Mann ist. Kaum ein Klischee wird ausgelassen und nicht auseinandergenommen. Aber naturgemäß gibt es darauf keine Antwort, sondern bloß kuriose Gespräche, die aber zusehends ins Ungewisse und Missverständliche abdriften, als es um Transgender-Themen und Misogynie-Theorien geht. Gewiss, das kann man mit der Absicht erklären, die Forderung nach gesellschaftlicher Wokeness als Überreiztheit abzutun. Aber unabhängig davon, ob es der Autor darauf angelegt hat, ist es nicht so schön, sich für die Figuren fremdzuschämen. Eine bissige Entlarvung einer überempfindlichen Gesellschaft, die sich als die bessere fühlt, und ein überzogenes Finale.
Michael Braun
rezensiert für den Borromäusverein.

Damenschach
Finn Job
Verlag Klaus Wagenbach (2024)
Quartbuch
170 Seiten
fest geb.