Working class
Auch schon vor der Corona-Pandemie ging es der sogenannten "working class" wirtschaftlich und sozial nicht besonders gut. Seit ein paar Jahrzehnten geht ein Riss durch die Gesellschaft; hier die "einfachen" Arbeiter, Angestellten und Freiberufler, Geringqualifizierten, dort die Aufsteiger mit reichlich Einkommen und Vermögen. Julia Friedrichs, u.a. bekannt durch Reportagen und Dokumentationen für ARD, ZDF und "Zeit", begleitet ein Jahr lang schlecht bezahlte Menschen, deren vielseitige Probleme in Coronazeiten zunehmen. Sie sind meist nicht sozial abgesichert, arbeiten ohne Tarifvertrag, ihre Interessenvertretung ist kaum spürbar. Eine freischaffende und schlecht entlohnte Musiklehrerin lehrt sechs Musikschüler an wechselnden Orten und leistet dafür logistische Schwerstarbeit für ihre Familie. Wenn nur mal niemand krank wird! Und die Kinder wollen auch mal ein Eis oder ins Freibad. Wie soll die Miete bezahlt werden? Friedrichs zeigt Mitgefühl für Müllarbeiter, Krankenschwestern, Feuerwehr, Köche und fordert Respekt vor und Anerkennung für jede menschliche Arbeit. Roboter können keine liebevollen und aufmunternden Gespräche führen, keine Betten machen, Brötchen verkaufen usw. Wie sieht Friedrichs die Lösung? Solidarität sei gefragt. Die, denen es bisher durch unser Wirtschaftssystem gut ging, sollten selbst beginnen, etwas abzugeben, geringe Lohnzahlungen anheben, Mieten senken, Sonderabgaben akzeptieren - mit einem Begriff, mit "niedriger Rendite" auskommen. Ein Buch mit tiefen Einblicken in die Welt um uns herum, ergänzt durch interessante Lösungsvorschläge. Für alle Büchereien.
Berthold Schäffner
rezensiert für den Borromäusverein.
Working class
Julia Friedrichs
Berlin Verlag (2021)
316 Seiten
fest geb.