Wie man seine Tochter liebt
Joela steht vor den erleuchteten Fenstern eines holländischen Hauses und sieht drinnen ihre zwei Enkelinnen spielen. Sie wagt es nicht, sich bemerkbar zu machen, denn der Kontakt zur Tochter ist seit 20 Jahren abgerissen. Mit 18 ging Lea von zuhause fort, so erfährt der Leser in sprunghaften Rückblenden, und ließ ihre Eltern im Glauben, sie ziehe durch exotische Länder, während sie durchaus bürgerlich in den Niederlanden lebte. Der Grund, so mutmaßt man bald, war die übergroße, unendlich einengende Liebe der Mutter zu ihrem einzigen Kind. Joela schildert Kindheit und Jugend der Tochter aus ihrer Perspektive, ohne explizit die Mechanismen der Einengung zu erkennen. - Dass Entfremdung zwischen erwachsen werdenden Kindern und ihren Eltern vorkommt, ist nicht ungewöhnlich. Berufs- und Partnerwahl sind oft die Auslöser. Dass aber eine Tochter der mütterlichen Liebe so radikal wie Lea entflieht, schon. Die Autorin vermittelt den Eindruck, der Teenager hatte keine andere Wahl, um als selbständige Persönlichkeit zu überleben. Das Buch regt bei Lesern nicht nur in Joelas Alter an, sich mit den eigenen Verhaltensmustern den Nachkommen gegenüber kritisch auseinanderzusetzen. Unter diesem Gesichtspunkt ist die Lektüre anstrengend, auch wenn sie erzählerisch leicht und charmant wirkt.
Pauline Lindner
rezensiert für den Sankt Michaelsbund.
Wie man seine Tochter liebt
Hila Blum ; aus dem Hebräischen von Ruth Achlama
Berlin Verlag (2022)
308 Seiten
fest geb.