Lieber träumen wir alles, als dass wir es sagen

Inspiriert von der dialogisch aufgebauten Biografie "Was ist Glück? Nachher weiß man es", die der Schriftsteller Arnold Stadler zusammen mit dem Theologen und Journalisten Michael Albus geschrieben hat, entstand bei Martin Walser (* 1927) der Wunsch, dass er sich diese Form auch für seine Lebensgeschichte vorstellen könne. Und so kam es zu diesem Gesprächsband, in dem die Biografie Walsers nicht chronologisch und umfassend nacherzählt wird, sondern in dem sein Leben mithilfe intensiver Fragen nach der eigenen Identität, nach innerer und äußerer Heimat, nach Sinn und Gelingen des Lebens, nach der Existenz Gottes bzw. der Suche nach ihm sowie nach der Bedeutung und Wirkung von Sprache entschlüsselt werden soll. Bei den in Walsers Haus in Nußdorf am Bodensee stattfindenden Gesprächen im Juli 2019 - großteils ergänzt durch Auszüge aus seinem Werk - entlockte Albus dem 94-Jährigen interessante, aber kaum neue Rück- oder Einblicke auf dessen Leben, auf heute für ihn noch Wichtiges sowie auf nun bedeutungslos Gewordenes. In diesen Fragmenten der Erinnerung - Walser nennt sie Rückblicksblitze -, z.T. von ihm selbst, oft jedoch in literarischen Textpassagen (u.a. aus dem autobiografischen Roman "Ein springender Brunnen": "Der Johann, der kann am meisten von mir, über mich, Auskunft geben"), wird deutlich, wie stark sein schriftstellerisches Schaffen (Romane, Essays, Gedichte) von seinen persönlichen Erfahrungen mit Menschen, der Natur und gesellschaftlichen Vorgängen - z.B. "Tod eines Kritikers": Auseinandersetzung mit Marcel Reich-Ranicki - geprägt ist. Den Gesprächen ist ein Essay Arnold Stadlers angefügt, das Walsers Leben und sein Schaffen unkritisch bejubelt und eher als eine überschwängliche Laudatio zu dessen 95. Geburtstag zu sehen ist. Speziell für älteres Lesepublikum empfehlenswert!