Der Potemkinsche Hund
Wer einen bizarren Plot akzeptiert und sich an drastischen Schilderungen nicht stört, wird auf das Finale des kafkaesk anmutenden Romans gespannt sein. Denn was geschieht mit dem verstorbenen, durch die Wissenschaftlerin Irina wiedererweckten Anatol? Sucht er wie andere junge Männer Trost im Alkohol? Wird er zu den von der Miliz Aufgegriffenen gehören, die ohne Ausweis und Papiere rechtlos sind und somit gar nicht existieren? Als geografischen Aktionsraum für das Magisch-Phantastisches mit Realem verbindende Geschehen wählt die 1986 in Graz geborene Cordula Simon u.a. das postsowjetische Odessa, in dem "die alten ... Fassaden durch Salzfraß ... kleine Monster" bilden. Die sichtbar werdende Zerstörung spiegelt sich in den Seelen ihrer sorgfältig porträtierten Protagonisten wider. Denn obwohl sich deren Lebenswege mehrfach kreuzen, erkennen sie einander nicht. Die tief empfundene Einsamkeit des seiner Identität und damit seiner Würde beraubten Menschen gehört zu den Themen, mit denen sich die zeit- und gesellschaftskritische Autorin auseinandersetzt. Dass die aus unterschiedlichen Perspektiven erzählte, das Doppelgängermotiv verwendende Prosa beunruhigt und verstört, dürfte die Schriftstellerin einkalkuliert haben. Für Leser/innen, die für moderne Literatur aufgeschlossen sind.
Kirsten Sturm
rezensiert für den Sankt Michaelsbund.
Der Potemkinsche Hund
Cordula Simon
Picus-Verl. (2012)
207 S.
fest geb.