Der lange Atem
Von Katastrophen kann man nicht gut erzählen. Aber sich ein Bild machen. Aus dieser Grundidee entwickelt die 1966 im Schwarzwald geborene Autorin Nina Jäckle einen Roman über den atomaren GAU in Fukushima. Der Erzähler, ein Zeichner von Phantombildern, stellt sein Talent in den Dienst der Humanität. Er stellt Abbilder von Gesichtern der Opfer der Katastrophe her, damit die Angehörigen sie wiedererkennen können. Es entsteht eine Parabel von der Macht der Kunst: Denn der Zeichner arbeitet nicht immer so unerbittlich an einer scheinbaren Wahrheit orientiert, wie er vorgibt, sondern zeichnet wider besseren Wissens die Geschichten der Opfer mit in deren Gesichter, macht sie hübscher, als sie waren, oder lässt sich von den Verwandten korrigieren. Ein Buch über Lebenskunst und Menschenliebe, ohne falsches Mitleid, mit viel Ausdauer erzählt. Allen Beständen empfohlen.
Michael Braun
rezensiert für den Borromäusverein.
Der lange Atem
Nina Jäckle
Klöpfer & Meyer (2014)
171 S.
fest geb.