Birobidschan

Birobidschan ist eine russische Stadt mit 75.000 Einwohnern, gegründet in den 1930er Jahren als stalinistisches Experiment und Bollwerk gegen China. Heimathungrige jüdische Siedler kamen, um das sibirische Sumpfgebiet fruchtbar zu machen, die meisten Birobidschan verließen aber das nur anderthalb Autostunden von China entfernte Schtetl im Laufe der 40er Jahre wieder. Doch auch heute wird in den Schulen noch auf Jiddisch unterrichtet, die Ortsschilder sind zweisprachig. Im Buch wird die autonome jüdisch-sozialistische Region abgeschottet von allem Weltgeschehen und dennoch auf der Höhe der Zeit dargestellt als ein Ort, in dem Sozialismus mit menschlichem Antlitz herrscht. Dreh- und Angelpunkt sind die Bewohner mit ihren kleinen und großen Sorgen, wie die Freundinnen Josephin und Sulamith, der Fischer und Ur-Birobidschaner Boris, das seit Kindertagen verliebte junge Paar Alex und Rachel oder die engen Freunde Gregory und Sascha. Das Leben in Birobidschan geht seinen Gang. Dann gerät das sozialistische Alltagsidyll aus den Fugen: Ein Bär taucht auf, der die Gemeinschaft aufschreckt, aber ebenso vor äußeren Feinden beschützt. Zwei fremde Männer mit einem Gewehr und einem stummen Mädchen aus Moskau irritieren die Leute. Boris wird ermordet, eine weitere Leiche wird gefunden und die Möglichkeit des Bösen ist auf einmal da, erschreckt die verängstigten Einwohner und bringt die idyllische Gemeinschaft zum Zerbrechen ... - Der Debütroman des in Haifa geborenen und in Berlin lebenden Autors handelt von Gemeinschaft, Liebe und Glück, aber auch von Verletzungen, Verlust und Tod. Der Autor verquickt mit großer Fabulierlust Vergangenheit und Gegenwart, Wahrheit und Fiktion und erzählt bildgewaltig, magisch-mystisch und mit wilder Fabulierlust von Menschen, die in einer postsowjetischen Lebensrealität die Grenzen einer Idealwelt ausloten. Eine wunderbare Geschichte - poetisch, eigenwillig und mit jüdischem Witz, mit Nachdruck empfohlen für Liebhaber und Liebhaberinnen außergewöhnlicher Romane. Nominiert für den Deutschen Buchpreis.

Günther Freund

Günther Freund

rezensiert für den Sankt Michaelsbund.

Birobidschan

Birobidschan

Tomer Dotan-Dreyfus
Verlag Voland & Quist (2023)

318 Seiten
fest geb.

MedienNr.: 752371
ISBN 978-3-86391-347-2
9783863913472
ca. 24,00 € Preis ohne Gewähr
Systematik: SL
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