Havarie
Ein Kreuzfahrtschiff muss zwischen Algerien und Spanien einem in Seenot geratenen Schlauchboot mit Flüchtlingen zu Hilfe kommen. Aus dieser Situation entwickelt die Schriftstellerin und Drehbuchautorin Merle Kröger einen packenden Roman, der sich jeder Genrefestlegung entzieht. Sie schildert das Geschehen aus vielen verschiedenen Perspektiven, u.a. aus Sicht des Algeriers Karim, der das Schlauchboot über das Meer steuert, aus der des indischen Sicherheitsoffiziers Nikhil Mehta, aus Sicht des Ersten Offiziers Léon Moret, eines Franzosen, und aus der des irischen Passagiers Seamus. Dieser Seamus hält die Ereignisse mit seiner Videokamera fest und wird sie später in seinem Youtube-Kanal posten. Ihm fällt auf, dass sich auf dem Schlauchboot zunächst elf Menschen befinden. Nachdem ein Beiboot des Kreuzfahrtschiffs zum Schlauchboot übergesetzt hat, sind es zwölf. Als endlich das spanische Seenotrettungsboot eintrifft, ist Seamus sich nicht sicher, ob sich das Schlauchboot vom Schiff entfernt - aber es war doch manövrierunfähig? Nimmt also nur das Kreuzfahrtschiff wieder Fahrt auf? - Merle Kröger inszeniert ihre Geschichte mit einem knappen Dutzend Charaktere aus verschiedenen Nationen. Sie alle haben ihre eigene Geschichte, Hoffnungen und Pläne, die die Ereignisse in den geschilderten 48 Stunden beeinflussen und dem Roman mehrfach eine neue Wende geben. Aus diesen unterschiedlichen Blickwinkeln, geschildert in kurzen Kapiteln und einer klaren, jeden Schnörkel meidenden Sprache, formt Kröger ein Gesamtkunstwerk, das man mit roten Ohren verschlingt. Spannend bis zum letzten Satz; doch anders als bei einem Krimi oder Thriller gibt es keinen alles klärenden Showdown. Am Ende ist alles offen.
Christoph Holzapfel
rezensiert für den Sankt Michaelsbund.
Havarie
Merle Kröger
Argument-Verl. (2015)
Ariadne-Kriminalroman ; 1224
227 S. : Ill.
fest geb.
Auszeichnung: Roman des Monats